2003 (08) Nepal und Tibet

Auf der unteren Karte sehen wir die Eckpunkte der Reise in Nepal und Tibet; Kathmandu, Chitwan Nationalpark im Süden von Nepal, Lukla, der Startpunkt meines Treckingabenteuers im Himalayagebiet und Lhasa, der Endpunkt des einwöchigen Abenteuers nach Tibet

2003 Nepal und Tibet Eckpunkte scaled
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Dieser Weg habe ich bei dem über zwei Wochen dauernden Trecking im Himalaya Gebiet gemacht; von Lukla bis zum Everest Base Camp, dann zurück mit einem Umweg zu einem Kloster und dann wieder nach Lukla. Von Kathmandu hin- und auch wieder dort zurück ging es mit einem kleinen Propellerflugzeug – Abenteuer pur!

2003 Trecking im Himalayagebiet scaled
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Von Kathmandu schloss ich mich einer Reisegruppe an, welche mit 4×4 Jeeps über die Grenze nach Tibet gefahren ist. Das Ziel dort war Lhasa und alles, was dazwischen war, war ganz einfach fantastisch!

2003 Tibet scaled
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Ich komme in Kathmandu, der Hauptstadt von Nepal an

Freitag, 17. Oktober, nachmittags Welch ein Kulturschock! Sogar nach Thailand, was ja auch nicht unbedingt zu den besten organisieren Ländern der Welt gehört, ist für mich die erste Taxifahrt durch die Strassen Kathmandus ein prägendes Erlebnis. Das Taxi gleicht eher einer rostigen Sardinenbüchse, die jedes der tiefen Schlaglöcher in den engen Strassen auf meine Wirbelsäule überträgt. Was ich dann während dieser etwa halbstündigen Fahrt in das Touristenviertel „Thamel“ beobachte, geht mir schon mal ganz heftig unter die Haut. Wohin du blickst; Leben auf der Strasse! Halbnackte Kinder. Kleine und kleinste Geschäfte, die alles, was du im täglichen Leben brauchst, verkaufen. Autos, die sich mit endlosem, penetrantem Hupen eine schnellere Durchfahrt erhoffen und das Verkehrschaos von Bangkok mühelos in den Schatten stellen. Es scheint, dass der Fahrer meines Wagens die Fenster extra offen hat, damit ich den stinkenden Abgassmog und die Abwassergerüche so richtig geniessen kann und merke: du bist in einem fremden Land!

Zum Glück habe ich, wie es der Zufall wollte, aus meinem Reiseführer ein für meine Reiseverhältnisse sehr angenehmes Hotel herausgesucht, wo ich mich gut einrichte. Danach kann ich es natürlich nicht lassen und informiere mich schon einmal in zwei Reisebüros über die Möglichkeiten, die mir dieses abenteuerliche Land bietet. In einem der diversen Buchläden kaufe ich mir einen weiteren Reiseführer, den „Lonely Planet“ über Tibet und eine Wanderkarte des Mount Everest-Gebietes. Der anschliessende Bummel durch das Quartier ist genial. Hier fehlt es dem Touristen wirklich an nichts. Und vor allem gibt es an jeder Ecke, auf den Terrassen und den Hinterhöfen wunderbare Restaurants, wo ich mich vom ersten Kulturschock und den vielen Eindrücken erst einmal erholen kann. Bei einem genüsslichen indischen Abendessen kämpfe ich mich durch die Flut von Informationen betreffend meinem Aufenthalt in Nepal und Tibet, und machte Gedanken und Pläne, wie ich die nächsten Wochen gestalten möchte.

Samstag, 18. Oktober Diese Nacht habe ich nicht besonders gut geschlafen. Ich habe viel zu viel an die wunderschönen Ziele gedacht, die ich bereisen könnte. So ist es nicht verwunderlich, dass ich nach einem „American Breakfast“ sofort in ein weiteres Reisebüro gehe, wo ich während fast zwei Stunden die Eckpfeiler meiner Reise festlege. Zudem kann ich, bei Tee und Kuchen, mit einem sympathischen nepalesischen Girl über Gott, nein, Buddha und die Welt plaudern und mir so ein weiteres Bild des Landes und der Einwohner machen. Ich entscheide mich für folgenden, groben Ablauf: einem Rundflug über das Himalayagebiet werden Visiten in den Süden zum Chiquan-Nationalpark und in den Osten zu einem 15-tägigen Himalaya-Trekking folgen. Zudem habe ich mich für eine 8-tägige Tour nach Tibet entschieden, wo ich am Schluss noch drei zusätzliche Tage verbringen möchte. Am Nachmittag besichtige ich den Durbar Square, das ist der ehemalige Tempel- und Palastbezirk von Kathmandu. Dort lasse ich mich von einem der vielen Jungs, die sich Fremdenführer bezeichnen, die Sehenswürdigkeiten erklären. Am Abend bin ich dann natürlich total erschöpft. Alle Eindrücke und die Leute, die immer um mich herumschwirren und ihre Dienste oder irgendwelche Souvenirs verkaufen wollen, sind mir an die Substanz gegangen. So bin ich wieder froh, dass ich in einem „Touristenghetto“ bin, wo ich mich, dieses Mal chinesisch, auf einer Terrasse im ersten Stock mit Aussicht auf die belebte Tamelhauptstrasse, verköstigen kann.

Sonntag, 19. Oktober Einmal mehr, ich werde es vielleicht nicht mehr explizit erwähnen, denn ich möchte mich ja hier nicht pausenlos beklagen, muss ich früh, dieses Mal um halb fünf Uhr, aufstehen. Ich lasse mich per Taxi zum Flughafen bringen, wo schon bald der einstündige Aussichtsflug mit der „Budda Air“ zum Mount Everest auf dem Programm steht. Doch ich war – nach Schweizer Manier – viel zu pünktlich. Der Flug wird nämlich wegen Nebels um eine Stunde verschoben. Wir können mit der 16plätzigen Maschine erst um halb acht Uhr starten. Doch was ich dann sehe, ist wirklich atemberaubend; die ganze Bergkette des Himalayas präsentiert sich inklusive dem höchsten Berg der Welt von seiner schönsten Seite. Die Fernsicht über dem Dach der Welt ist sehr beeindruckend. Das macht mir extrem Lust auf mein geplantes Trekkingabenteuer!

Zurück im Hotel frühstücke ich und erhole mich vom ersten Tageshöhepunkt. Ich mache eine ausgedehnte Siesta. Ich fühle mich sowieso in letzter Zeit sehr müde. Ist es der Klimaunterschied, die Höhe von Kathmandu oder die vielen neuen Eindrücke? Langsam aber sicher frage ich mich, wie ich mich während den zwei Wochen am Fusse des Mount Everest bekleiden soll. Ich habe ja warme Kleidung dabei. Ich glaube aber, dass diese den Anforderungen an das raue Bergklima nicht genügen werden. So schaue ich mich in den verschiedenen kleinen Sportshops, welche nachgemachte GoreTex-Aus-stattungen zu Spottpreisen anbieten, nach passenden Utensilien um. Ich werde sicherlich einiges, auch als Souvenir für Nicole und die Kinder, kaufen. Darum bemühe ich mich auch um geeignete Rücksendemöglichkeiten. In einer Agentur, die mir dabei behilflich sein könnte, plaudere ich etwa eine Stunde mit einem Typen. Die Menschen hier sind sehr offen, kontaktfreudig und haben es gerne, wenn man Ideen austauscht und ihnen von anderen Welten erzählt. Für Ausflüge am Nachmittag heuere ich einen Taxichauffeur an, der mich zu den verschiedenen Sehenswürdigkeiten bringt. Zuerst verweile ich einige Zeit im Stadtteil „Buddha“, welche die grösste und bekannteste Stupa ausserhalb von Tibet beherbergt. Eine Stupa ist ein traditionelles buddhistisches Monument in Form eines massiven halbrunden oder glockenförmigen Turms. Dieses Gebilde sieht von weitem wie eine riesige St. Nikolaus-Glocke aus. Weiter geht es nach Pashupatinath. Dort besuche ich Nepals heiligsten hinduistischen Pilgerort. Natürlich hinterlässt die Verbrennung einer Leiche an den Ufern des Bagmatiflusses einen tiefen Eindruck. Auf dem Weg zurück zu meinem wartenden Taxi verirre ich mich noch in eine Art Alters- und Pflegeheim. Zuerst dachte ich, dass dies auch ein Teil des riesigen Tempelkomplexes von Pashupathinath sei. Doch hier sehe ich, wie einige Menschen während ihrer alten Tage dahinsiechen. Wahrlich nichts Schönes. So flüchte ich so rasch wie möglich von diesem Ort und begebe mich wieder in die Arme der „guten alten Zivilisation“. Als Nächstes lasse ich mich wie ein kleiner König durch Patan, das zu einem Stadtteil von Kathmandu geworden ist, chauffieren. Wenn ich solche Ausflüge mache wird mir jeweils vorgeführt, wie schön ich es in meinem Leben eigentlich habe. Hier zum Beispiel sehe ich viele mausarme Menschen. Doch ich darf dabei nicht vergessen, dass es auf der Welt noch viel, viel ärmere Leute, die noch viel, viel weniger in ihrem Leben haben, gibt. An dieser Stelle möchte ich meinem Schöpfer ein riesiges Dankeschön aussprechen, dass er aus mir den „Beat“ gemacht hat! Hatte ich doch einmaliges Glück, dass ich nicht in einem unterentwickelten Land oder in irgendeine „arme Schluckerfamilie“ hineingeboren wurde! Beim heutigen Sightseeing hat sich mein Eindruck vom Touristenprofil in Nepal bestätigt. Hier dominieren keine Langzeit Traveller, Hippies oder „Blumenkinder“. Nein. Es gibt sehr viele ältere, gut ausgerüstete Bergfreaks und Hochgebirgswanderer, die während ihren Ferien ein einziges grosses Ziel vor Augen haben, die unfassbar riesige Bergwelt des Himalayas. Heute verfolgt mich ein weiterer Gedanke; war meine Entscheidung richtig, als Nächstes ein paar Tage in den Dschungel von Nepal zu gehen? Denn ich nehme ja seit längerer Zeit mein Malariamittel, das Mephaquin, welches auch Nebenwirkungen verursachen könnte. Als ich diese Reise plante, habe ich mir ein regelrechtes Dschungelabenteuer vorgestellt. Jetzt sieht es aber eher danach aus, dass ich mich nur zwei oder drei Tage in den Tieflagen von Nepal aufhalte und dass die ganzen Vorsichtsmassnahmen vielleicht ein bisschen übertrieben waren. Den Abend verbringe ich in einem der unzähligen Restaurants, wo ich vor und nach dem Essen weiter an meinem Buchentwurf schreibe und an meiner Videokamera herumhantiere. So ist es nicht verwunderlich, dass mich der Servierboy auf den kleinen Computer anspricht und mich wegen der Kamera fragt, ob ich Journalist sei. Man hat einfach einen anderen Status, wenn man sich mit viel Elektronik umgibt! Auf jeden Fall habe ich wieder einen Rückstand von fast drei Tagen in meinem Tagebuch nachgeschrieben. Mehr als drei Tage hatte ich noch nie nachzuarbeiten. Ich frage mich auch gerade, wie prominente Leute, die ihre Memoiren schreiben, sich noch an die Details erinnern, die sie vor zwanzig oder mehr Jahren erlebt haben. Ich jedenfalls habe schon Mühe, mich an Fakten, die sich vor zwei Tagen abgespielt haben, zu erinnern. Versuche doch auch einmal aufzuschreiben, was du vor einigen Tagen genau gemacht hast!

Ich fliege in den Süden, in den Royal Chitwan National Park

Montag, 20. Oktober Am Morgen kann sich mein Taxi nur mühsam einen Weg durch den zähen Verkehr im Zentrum der Stadt bahnen. Ich komme jedoch noch früh genug am Flughafen an. Ausserdem hat auch dieser Flug wegen Nebels über zwei Stunden Verspätung. Das Warten ist aber dieses Mal nicht „relaxing und easy“ wie an anderen Flughäfen. Denn in dieser Abflughalle, ohne richtige Anzeigetafel, mit einer Lautsprecheransage, die man nicht einmal annähernd versteht und einem einzigen Ausgang auf das Flugfeld, muss ich immer aufmerksam und aufbruchbereit sein. Alle zehn bis fünfzehn Minuten schreit wieder ein Kontrolleur am Ausgang irgendetwas in die wartende Menge. Dann rauschen alle Touristen zum Ausgang, um in den meisten Fällen nur festzustellen, dass es sich nicht um ihren Flug handelt. Ich versuche schon von Anfang an recht nahe von diesem einen, alles entscheidenden Gate zu sein, um so die Farbe des Boardingpasses sehen zu können, der gerade gebraucht wird. So bin ich mit meiner rötlichen, schmalen Einstiegskarte dann doch auch endlich an der Reihe und kann mit der kleinen Propellermaschine nach Bharatpur fliegen. Während des 20 Minuten-Fluges, der mir die Tagesfahrt im Bus erspart, sehe ich, warum man von Kathmanu aus nicht im Nebel starten sollte; wir fliegen aus diesem Talkessel so knapp über die umliegenden Berge, dass ich den Reisbauern bei ihrer Arbeit hätte helfen können. Mit drei Nepali teile ich später ein Taxi und fahre über die Sand-Steinpiste nach Sauraha, am Tor zum „Royal Chitwan National Park“. Der Ort ist fast menschenleer, was anscheinend zwei Gründe hat. Erstens gibt es seit einiger Zeit Unruhen zwischen Maoisten (Mitglieder einer Untergrundbewegung)  und dem Militär, was dazu führt, dass viele Staaten von einem Besuch nach Nepal abraten. Zweitens war am Vortag ein Busstreik, so dass die wenigen Touristen in Nepal über den Landweg nicht anreisen konnten. Den ganzen Nachmittag bis zum Abend sitze ich in verschiedenen Restaurants am idyllischen Flussufer und geniesse mein Leben. An einem Ort sind sogar Liegestühle auf Fluss und Sonnenuntergang ausgerichtet. Dort plaudere ich mit einem australischen Pärchen, Robi und Juliet, und geniesse die einmalige Atmosphäre. Mit ihnen verbringe ich auch den Abend bei einem vorzüglichen Abendessen unter dem funkelnden Sternenhimmel.

Dienstag, 21. Oktober Ein „must“ für jeden Touristen in diesem Dschungelgebiet ist ein Elefantenritt in der Steppenlandschaft. Diesen Ausflug unternehme ich zusammen mit drei anderen Abenteurern schon am frühen Morgen. Es ist am Anfang ein bisschen gewöhnungsbedürftig, auf dem schwankenden Hochsitz, wo wir zu viert eingepfercht sind, das Gleichgewicht zu behalten. Aber die Elefanten sind ja trainiert, selbst auf den steilsten Rampen oder durch die tiefsten Flüsse, stets auf allen Vieren zu bleiben. Wir werden von den Ausblicken auf die Dschungellandschaft, der Durchquerung von Steppen mit über vier Meter hohen Gräsern und der Entdeckung eines badenden Nashornes nicht enttäuscht. Nach diesem Ausflug frühstücke ich zusammen mit Christoph, einem Franzosen, der in insgesamt zwei Jahren mit dem Velo um die Welt radeln will, in einem der Restaurants am Fluss. Dabei können wir beobachten, wie die Elefanten im Fluss gebadet werden, was ziemlich zirkusreif aussieht. Diese riesigen Dickhäuter wirken im Wasser doch sehr schwerfällig. Den Nachmittag verbringe ich mit meinem gemieteten Fahrrad, dessen Sattel ich für meinen delikaten Hintern zuerst mit einem Badetuch ein bisschen weicher machen muss, in der Umgebung von Sauraha. Mit einem Besuch in der Dorfschule fängt dieses Abenteuer genial an. Ich werde von einem Lehrer durch alle Schulzimmer geführt. Bei den kleineren Schülern darf ich sogar ein bisschen filmen, bei den älteren werde ich in ein Frage- und Antwortspiel verwickelt. Ich kann sogar beim Rektor vorsprechen und ihm vom schweizerischen Schulsystem erzählen. Ich verbringe fast den halben Nachmittag in und um die Schule, wo unzählige Schüler von mir gefilmt werden möchten. Einige Kinder führen mich ein zweites Mal in ihr Schulzimmer, wo sie mit mir als Versuchsobjekt ihr Englisch vertiefen wollen. Danach fahre ich durch die Felder und Dörfer der Gegend, wo es so viele Drehorte gibt, dass ich viele Tage hier verbringen müsste, um alles einzufangen und mit den Bewohnern mittels Zeichensprache zu kommunizieren. Auch den heutigen Sonnenuntergang am Horizont des dichten Dschungels geniesse ich von einem der vielen kleinen Restaurants aus, die sich am Fluss vor den Toren des Chitwan Nationalparkes befinden. Wenn ich so schöne und ruhige Ferienerlebnisse wie hier in diesem abgelegenen Ort im Süden Nepals habe, denke ich oft an Nicole und die Kinder. Ihnen würde es hier auch gefallen. Ist das wieder Heimweh?

Zurück nach Kathmandu

Mittwoch, 22. Oktober Schon am Abend merke ich, dass ich ein bisschen Halsweh bekomme. Das kann ich fast nicht glauben; ausgerechnet jetzt, einen Tag vor meinem Himalaya-Abenteuer werde ich krank? Was soll denn das? Und tatsächlich, in der Nacht muss ich mehrere Halswehtabletten und ein Mittel gegen Erkältung einnehmen, da ich stündlich mehr Probleme mit laufender Nase und meinem schmerzenden Hals bekomme. Mit einem Taxi, (oder einem Privatfahrzeug, ich bin mir da nie ganz sicher), geht es zum etwa zwanzig Kilometer entfernten Flugfeld mit Erdpiste und von dort mit der „Cosmic Air“ zurück nach Kathmandu. Hier kehre ich wieder ins Garuda Hotel zurück und erlebe eine böse Überraschung. Meine zwei Plastiksäcke, die ich vor drei Tagen zur Aufbewahrung abgegeben habe, sind verschwunden. Nach längerem Suchen wird dann ein Teil meines Besitzes, ein paar neu gekaufte Kleider, in einem Abstellraum „entdeckt“. Es fehlen jedoch mein Reise-buch über Tibet, eine Wanderkarte, eine CD und ein Plastiksack gefüllt mit Schokolade und Dörrfrüchten, die ich für das Trekking gekauft habe. Das Buch findet sich dann, nach weiteren Diskussionen mit den Angestellten, in der Bibliothek des Hotels wieder. Die CD kommt auch zum Vorschein. Sie war bei den privaten Sachen des Hauswartes verschwunden. Da hat etwas in der internen Kommunikation in dem sonst sehr gut geführten Hotel nicht geklappt. Die Leute meinten, dass ich die Sachen einfach so für immer zurückgelassen habe. Das hört sich eigentlich als Ausrede nicht schlecht an. Richtig geglaubt haben sie es aber wahrscheinlich selbst nicht! Ich habe natürlich beim Chef reklamiert und meinen Unmut kundgetan. Der Boss macht sich noch einige „proforma“ -Notizen und verspricht mir, den Schaden zu ersetzen. So gehe wieder in den Lebensmittelladen und kaufe mir die Schokoriegel und Traubenzuckervorräte nochmals zusammen. Im Hotel stelle ich meine Siebensachen fürs Wandern zusammen und verbringe später den Rest des Nachmittags in der Stadt am geschäftigen Durbar Square. Am Abend fühle ich mich noch schlechter als während des Tages. Ich versuche mit verschiedenen Medikamenten und Halswehtabletten gegen die Krankheit anzukämpfen. Dazu gehört auch eine Whisky-Gurgelkur. Dafür habe ich mir eine Miniflasche des Feuerwassers gekauft und gurgele damit kräftig. Das tönt sicherlich komisch. Doch dies ist meine Geheimwaffe und rettendes Hilfsmittel bei Halsschmerzen, das die Halsrötungen im Nu wegbrennt. Oder ist es eher ein psychologischer Vorgang? Auf jeden Fall nützt es auch dieses Mal wieder! Am Abend gehe ich dann trotzdem einen kleinen Teller Spaghetti Carbonara essen und verabschiede mich schon früh ins Bett. Auch Schlaf ist bekanntlich ein guter Heilfaktor! Ich habe in den letzten Tagen eine neue Seite in mir entdeckt, die ich überhaupt nicht mag und hoffentlich nur während der Reise aus meinem Innersten auftaucht. Ich habe das Gefühl, dass ich teilweise vergesslich geworden bin und finde, dass ich gegenüber vielen Menschen viel zu vertrauensvoll bin. Hier die entsprechenden Beispiele: In Sahaura bin ich von einem Ausflug zum Hotel zurückgekommen, wo ich einen kleinen Bungalow bewohnte. Da konnte ich den Schlüssel in meinen Hosentaschen nicht mehr finden. Kein Wunder: ich habe die Türe ja auch nicht abgeschlossen! Denn sie stand, nur vom Fliegengitter geschützt, noch immer weit offen. Das hätte ins Auge gehen können! Weiter macht mir die Geschichte mit dem verschwundenen Material in den Plastiksäcken zu schaffen. Ich habe, wie mir der Concierge geraten hatte, meine Sachen einfach auf dem Bett im Hotel zurückgelassen. Da hatte ich viel zu viel Vertrauen, dass auch alles mit rechten Dingen zugehen würde und dass das Material dann auch richtig aufbewahrt würde. Ich hätte wohl viel besser aufpassen müssen, Quittungen verlangen und die Sachen selber in den Gepäckabstellraum bringen sollen!

Mein Himalaya Abenteuers- startet in Lukla, dem gefährlichsten Flughafen der Welt

Donnerstag, 23. Oktober Während dieser Nacht mache ich fast kein Auge zu. Ich fühle mich sehr schlecht und schlottere die ganze Nacht vor Kälte. Meine Gedanken kreisen unaufhaltsam um die nächsten Tage. Doch ich fühle mich so mies, dass ich mir das Ganze sehr schlecht vorstellen kann. Schon lange bevor mich die beiden Wecker aus den Federn klingeln, wälze ich mich ruhelos im Bett herum. Zuerst nehme ich meinen Fiebermesser und kontrolliere die Temperatur: 39,1 Grad zeigt die Digitalanzeige an! Doch das hat mich weder beunruhigt, noch meinen Willen geknickt. Ich stehe auf und fahre zum Flughafen. Ich nehme mir einfach vor, die ganze Sache so locker wie möglich anzugehen. Mein Zustand wird sich schon verbessern! So geht’s also in einem spektakulären Flug, die Bergkämme stets in greifbarer Nähe und nur einige Meter unter dem Propellerflugzeug, nach Lukla, das sich 2’800 Meter über dem Meeresspiegel befindet. Auf einer steil ansteigenden und gefährlich kurzen Piste landet der Pilot routiniert. Danach spielt sich alles genau so ab, wie ich mir das vorgestellt habe; ich werde von einem Typen angesprochen, der Führer und Träger zugleich ist. Er zeigt mir ein Teehaus, wo gerade zwei Deutsche sitzen, die von ihm die letzten zehn Tage nicht an der Nase, sondern in den Bergen herumgeführt wurden. Sie erzählen nur Gutes von Lalit Kumar Karki  und loben ihren Guide der letzten Tage in den höchsten Tönen. So ist die Entscheidung für mich einfach, mich von ihm in der Landschaft des Himalayas begleiten zu lassen. Die erste Etappe führt uns in etwa drei Stunden nach Phakding. Schon gegen Mittag kommen wir in diesem Dorf an. Da unterhalte ich mich erst auf einer Terrasse vor dem kleinen Hotel, wo ich mich einquartiert habe, mit anderen Wanderern. Später werde ich von Lalit in sein Haus, eigentlich eher eine Hütte, zum Tee eingeladen. Er wohnt nämlich mit seiner Familie und den zwei Kindern in diesem Dorf. Etwas später gehe ich zu einer Hängebrücke, um dort die Aktivitäten zu beobachten. Ich hätte mich jedoch nicht ins Gras legen sollen, schlafe ich doch vor Müdigkeit sofort ein. Erst als es kälter wird, weil die Sonne verschwindet, wache ich verwundert auf. Ich fühle mich nämlich, seit ich in den Bergen bin, immer besser. Das zeigt sich auch bei einem neuerlichen Temperaturcheck, der am Nachmittag nur noch 36,9 Grad anzeigt. Ich habe auch kein Kopfweh mehr, was mich auf den ersten paar Wanderkilometern schon in eine Art Alarmbereitschaft versetzt hatte. Ich bin ja erst am Anfang meines Trecks und möchte in den nächsten Tagen noch doppelt so hoch aufsteigen wie ich mich jetzt schon befinde! Den ganzen Abend verbringe ich im kleinen Restaurant der Unterkunft. Nach dem Abendessen muss ich mich fast zwingen, um bis kurz nach Acht zu warten, damit ich in meinen warmen Schlafsack kriechen kann.

Es geht weiter nach Namche Bazar

Freitag, 24. Oktober In dieser Nacht schlafe ich wieder einmal sehr gut und kann so endlich mein Manko nachholen. Doch leider erwartet mich vor der Türe eine negative Überraschung: Der Himmel ist stark bewölkt. Dies überrascht mich schon ein bisschen, umso mehr, weil seit über zehn Tagen hier nur eitler Sonnenschein herrschte und jetzt die gute, trockene Jahreszeit sein sollte. Doch es bleibt uns nichts anderes übrig als den Aufstieg auf dem stark belaufenen Weg zu nehmen. Wir überqueren diverse Brücken und wandern an den Flüssen entlang um schlussendlich, während den letzten zwei Stunden, den steilen Aufstieg nach Namche Bazar zu bekämpfen. Es gibt hunderte von Sherpas auf dem Weg, die ihre teilweise über 40 Kilogramm schwere Last den Berg hochschleppen. Wir kreuzen oder überholen auch dutzende von vollbeladenen Gaykeos. Diese Lasttiere, eine Art Yak, werden in den unteren Regionen des Himalayas eingesetzt. Diese Gruppen von meistens zwei bis sechs Tieren müssen auf den schmalen Pfaden wahre Ballanceakte vollführen. Ich frage mich oft, wie diese Reit- und Lasttiere es immer wieder schaffen, ohne zu straucheln, über Stock und Stein und über Treppen und Brücken zu kommen. Es gibt natürlich auch einige Touristen unterwegs. Doch diese nehme ich angesichts der vielen einheimischen Sherpas fast nicht zur Kenntnis. So kommen wir endlich gegen Mittag in Namche Bazar an. Dort muss ich zuerst eine Eintrittsgebühr für den Sagarmatha-Nationalpark bezahlen, bevor ich mich in einer Lodge einrichte. Leider hat sich das Wetter sogar noch verschlimmert. Es beginnt leicht zu regnen. Es ist windig und empfindlich kalt. Den Nachmittag fülle ich mit Schreiben und Einkaufen. Angesichts des kalten und unerfreulichen Wetters erstehe ich mir noch zusätzlich einen Trainingsanzug in einem der vielen Läden in diesem Bergdorf. So habe ich für die Abende noch zusätzlich warme Kleider. In unserer Lodge treffe ich eine deutsche Familie, die ich am Vortag in Kathmandu am Flughafen kennengelernt habe. Jetzt sind Hannes, Corinna, und die erwachsenen Kinder Cornelia und Sebastian zufälligerweise im selben Hotel. So möchte ich auch einmal in zehn oder fünfzehn Jahren meine Ferien mit den wohlerzogenen Kindern verbringen können! Diese Familie sprüht wirklich vor Lebenslust und demonstriert ein von Respekt geprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl. Sie zeigen, dass es durchaus möglich ist, auch mit erwachsenen Kindern  gemeinsame, interessante Ferien zu verbringen. Auch sie bleiben zwei Tage hier in Namche, da auf dieser Höhe von etwa 3’400 müM ein Akklimatisierungstag angebracht ist. Wir essen im kleinen Restaurant und lachen viel. Hier gibt es sicher über 20 Trekker, die in den sehr billigen Unterkünften übernachten und auch dort essen müssen. Alle sitzen im Kreis auf Bänken mit dem Rücken zur Wand oder den Fenstern, wärmen sich am Holzofen, welcher in der Mitte des Raumes steht und essen eines der Standardgerichte. Suppen, Nudeln, Reis oder Bratkartoffeln mit ein bisschen Gemüse, Käse oder Ei werden mit Hochgenuss verschlungen. Ich bin mir sicher, dass schon jetzt alle wie ich denken: „Ich freue mich nach dem Abendessen in meinen Schlafsack zu kriechen und eine gehörige Portion Tiefschlaf zu geniessen!“

Samstag, 25. Oktober Jetzt habe ich doch extra darauf geachtet, dass ich an einem Samstag hier in Namche Bazar bin, da dieser Ort weit herum für den Samstagsmarkt bekannt ist. Den besuche ich am Morgen dann auch. Da es aber wie aus Schleusen regnet, ist dieses Unterfangen in der bitteren Kälte sehr ungemütlich, obwohl Lalit mir einen Schirm organisieren kann. Es ist wirklich ein tristes Bild, das sich mir offenbart: Alle anwesenden Marktfrauen- und Männer, mehrheitlich aus Tibet kommend, versuchen sich und ihre Habe mit Plastik zu schützen. Verkauft wird vor allem Kerosin  in 15 Liter-Behältern für die Öfen, Milchpulver produziert von Nestlé, Nudeln und diverse Müsli-Sorten. Dazu kommen Frischprodukte wie Fleisch, Eier, Butter und Gemüse. Ich sehe auf engstem Raum riesige Stapel von verschieden-sten Gütern, die im Haushalt und der Küche gebraucht werden können. Bedenke, dass all das Zeugs von den Sherpas mühsam in Körben auf den Berg geschleppt werden musste! Obwohl es immer stärker regnet, kommen noch mehr Leute auf den Markt und kaufen sich ihre Sachen zusammen oder bieten Ihre Güter feil. Ich stehe gut eingekleidet und trotzdem schlotternd, inmitten der Marktstände und sehe die Leute, oftmals barfuss oder in Plastiksandalen, leichten Hosen und einer dünnen Jacke bekleidet emsig ihren Handel betreiben. In der Nähe des Marktes wird ununterbrochen an einem neuen Haus gebaut. Da meisseln sie mit einfachsten Mitteln aus Granitsteinen viereckige Blöcke, welche für die Grundmauern benötigt werden. Ein Mann sägt mit einem Fuchsschwanz Dachlatten aus einem Brett. Alles in Handarbeit! Maschinen gibt es keine. Hier vollführt der Mensch un-glaubliche Kraftanstrengungen, um in kleinen jedoch stetigen Schritten einem Ziel entgegen zu kommen. Genau wie die Sherpas, die immer und überall zu sehen sind und ihre unglaublichen Lasten herumtragen.

Allzu lange halte ich es da im Regen nicht aus und gehe zurück in meine Lodge, wo ich mich wieder hinter mein Buch klemmen kann. Je länger ich an meinem kleinen Werk herum schreibe, desto mehr macht es mir Freude, meine Erlebnisse zu erzählen und in Worte zu fassen. Durch die Flexibilität mit meinem Kleincomputer und der Minitastatur kann ich immer und überall nach Herzenslust schreiben. Denn immer wieder gibt es während meiner Reise „tote“ Zeiten, wo ich gerne mein „Büro“ öffne und in die Tasten haue. Anstatt den Regen zu stoppen, öffnet Petrus die Himmelsschleusen immer weiter. Ich wage mich trotzdem noch vor Mittag zu einem klei-nen Spaziergang hinaus, aber nur um in einer Bäckerei einen Kaffee und Apfelkuchen zu geniessen. Etwas später vertrete ich mir zusammen mit Corinna und Hannes, er ist Jugendrichter, die Füsse und gehe nochmals zu einem Kaffeeklatsch in eine andere Bäckerei. Kurz vor der einbrechenden Nacht hat der himmlische Wettermacher doch noch Erbarmen mit uns und packt die Regenwolken für kurze Zeit ein. So können wir eine kleine Wanderung um das Dorf wagen und kehren erst in der dunklen Nacht wieder in die Lodge zurück. Die Zimmer in diesen Unterkünften sind jeweils sehr günstig, dafür wird erwartet, dass man da isst. Sollte man sich trotzdem „auswärts“ verpflegen, muss man für das Zimmer bis etwa fünfzehn Franken bezahlen. Doch es gibt überhaupt keinen Grund, „fremd“ zu gehen. Die Möglichkeiten sind sowieso stark eingeschränkt und alle Lodges bieten genau dasselbe Essen, zu denselben Preisen an. Zudem wird es in der Nacht jeweils bitter kalt. Da hat sowieso keiner Lust noch einen Fuss vor die Türe zu setzen!

Ich marschiere weiter nach Tengboche

Sonntag, 26. Oktober Nach dem Frühstück verabschiede ich mich von den Bechers und wandere in etwa vier Stunden nach Tengboche. Wir  legen heute fast keine Fotostopps ein, da sich das Wetter zwischen bewölkt, stark bewölkt und leichtem Regen hin und her bewegt. Im Klosterdorf angekommen, beginnt es doch noch sehr heftig zu schütten. Doch zum Glück ist es nur ein kurzer Schauer. Dieses Mal finden wir in den ersten zwei Lodges keinen Platz mehr und weichen in eine dritte, sehr kleine Unterkunft aus. Am Nachmittag besuche ich das typische, weit herum bekannte Kloster. Ich kann dort einer Tee-Zeremonie der Mönche beiwohnen, was jedoch nichts Herausragendes ist. Hingegen finde ich es faszinierend, einigen Mönchen zuzusehen, wie sie ein Mandala auf ein Brett zaubern. Am Boden knieend, schütteln sie in Filigranarbeit getrocknete Farbe aus verschiedenen Röhrchen auf die hölzerne Vorlage am Boden. Als ich das filmen will, zeigt sich einer der Mönch nicht so glücklich, da ich ihm dafür nicht so viel Geld in die Opferschale lege, wie er unverschämterweise von mir verlangt hat. Am Abend in unserer Lodge ist dann noch einiges los. Wir sind eigentlich nur zwei Touristen, die in dieser einfachen Kleinstunterkunft Platz finden. Im Essensräumchen fiel kurz nach dem Abendessen eine der zwei einfachen Lampen aus. Natürlich ist keine Ersatzbirne vorhanden. So macht das übrig gebliebene, zuvor schon spärliche Licht das Lesen fast unmöglich. Später gesellen sich noch einige durchfrorene Touristen vom nahen Zeltplatz zu uns, um sich beim Kartenspiel in der Nähe des Ofens aufzuwärmen. Die Runde wird kurz danach noch interessanter, da die vier „Mandala-Mönche“ auch noch erscheinen, um sich mit Tee und westlicher Pizza verköstigen zu lassen. Die ernähren sich auch nicht immer nur von Reis!

Dingbouche, mein nächstes Etappenziel

Montag, 27. Oktober Die Etappe nach Dingbouche können wir in strahlendem Sonnenschein machen. So sollte es sein! Es ist wie in einem Reiseprospekt! Die Berge, die um uns herum teils bedrohlich, teils einladend, natürlich schnee-bedeckt und steil, aufragen, sind alle mindestens 7’000 Meter hoch. Da wir ja noch nicht einmal auf 4’000 Meter über dem Meer sind, beeindruckt mich der Anblick dieser Riesen enorm. Kurz vor dem Etappenziel ist Lalit dann vorausgelaufen, um mir das letzte Zimmer in einer schönen Lodge zu reservieren. Es ist wirklich gut, dass ich einen Helfer habe. So musste ich mich nie um die Unterkünfte kümmern und vor allem mein Gepäck nicht alleine herumschleppen! In Dingbouche genehmige ich mir zum Mittagessen eine Nudelsuppe und versuche mich draussen in der Sonne wieder einmal zu rasieren. Das stellt sich als schwieriges Unterfangen heraus, da meine Barthaare nach ein paar Tagen hart wie dünne Nägel geworden sind. Zudem habe ich nur eine kleine Schale mit warmem Wasser zur Verfügung, was das Auswaschen der gebrauchten Rasierklinge fast unmöglich macht. Aber ich habe ja Zeit. Wie immer steht mir der ganze Nachmittag zur Verfügung. Du kannst auf dieser Höhe einfach nicht mehr als etwa 400 bis 500 Höhenmeter überwinden, ohne krank zu werden. Am Nachmittag hat ein amerikanischer Arzt, der im Nachbarort in einer Krankenstation arbeitet, in unserer Lodge einen Vortrag über AMS (mountain sickness, oder: Höhenkrankheit) gehalten. Mit einem langsamen Aufstieg, einigen Ruhetagen um sich an die Höhe zu gewöhnen, und viel Trinken sollte man sich gut an die speziellen Gegebenheiten des Hochgebirgswandens  hier gewöhnen. Bis jetzt geht das bei mir recht gut. Ich habe nur gestern während etwa zwei Stunden leichte Kopfschmerzen verspürt, die jedoch am heutigen Tag schon wieder verschwunden sind.

Dienstag, 28. Oktober Also, wenn das Wetter so bleibt, habe ich wirklich Riesenglück. Bis jetzt ist nur der eine Ruhe- und Akklimatisierungstag in Namche verregnet gewesen. Auch heute erwartet mich wieder ungetrübter Sonnenschein. Ich besteige zuerst während einer Stunde einen Berg direkt hinter Dingboche, um die Aussicht von dieser Perspektive aus zu geniessen und natürlich zu filmen. Meinen Führer und Träger habe ich schon ins nächste Dorf vorgeschickt. So kann er in Chhukung auf 4’730 Meter ein weiteres Zimmer für mich reservieren. Gegen Mittag bin ich wieder in Dingboche zurück. Ich gönne mir da meine tägliche Coca-Cola und stärke mich mit einer, ebenfalls täglichen, Suppe. Der Weg, der mich weitere dreihundert Höhenmeter hinauf bringt, führt erstmals durch Schneefelder. Dieser Schnee, der sich wie nasser Frühlingsschnee anfühlt, ist vor drei Tagen gefallen. Während den nächsten zwei Stunden, die ich in langsamen, kleinen Schritten hinter mich bringe, kann ich einmal mehr vor mich hin meditieren. Da ist mir aufgefallen, dass ich seit längerer Zeit sehr wenig an meine Familie gedacht habe. Ich habe auch schon einen Grund dafür gefunden. Ich glaube, dass ich während den letzten Tagen so stark mit mir selbst beschäftigt war, dass ich an fast nichts anderes denken konnte. Das klingt vielleicht egoistisch. Hier, in dieser Höhe dreht sich jedoch sehr viel um die Gesundheit des Einzelnen. Erfahrungen mit der tückischen Höhenkrankheit, mit lästigem Durchfall oder mit schwerem Sonnenbrand werden rege ausgetauscht. Es werden diverse Tipps gegeben, wie man dem vorbeugen oder im schlimmsten Fall eine solche Krankheit auskurieren kann. Natürlich hoffe ich, dass ich darum herumkomme. Ich muss mich auch extrem um die Essenshygiene, ausreichendes Trinken (dabei ist Alkohol natürlich überhaupt kein Thema!) und langsames Wandern bemühen. Jedes kleinste Kopfwehchen oder Rumpeln in meinem Verdauungstrakt macht mir schon Angst. Voilà, das muss einfach der Grund sein, dass andere Gedanken zurzeit keinen Platz in meinem Kopf haben. Am Ziel angekommen, habe ich noch genügend Zeit, um zu schreiben, zu lesen und vor allem die grenzenlose Aussicht auf die Bergwelt zu geniessen. Wäre es am Abend und während den Nächten nicht immer so grässlich kalt, so könnten das die idealen Relaxferien sein! Am späteren Nachmittag kommen wieder Wolken auf, was nach einem so wunderbaren Tag jedoch nicht so schlimm ist, da die Bergspitzen teilweise auch durch die Nebelschichten hervorragen und so eine extrem spannende Stimmung verbreiten. Da, auf fast 5’000 müM, kann ich sogar meinen Palm und eine Videobatterie für einige Ruppies mit Solarenergie wieder aufladen lassen. Das ist wahrer Luxus auf dieser Höhe! Am Abend bekomme ich wieder leichte Kopfschmerzen, die dieses Mal bis zum Schlafengehen anhalten. Gegen Mitternacht erwache ich wegen der bitteren Kälte, kann aber mit Freude festgestellten, dass das Kopfweh verschwunden ist. In meinem Schlafsack und unter einer zusätzlichen Wolldecke habe ich die Möglichkeit, entweder die Nase fast abzufrieren zu lassen oder aber, total eingepackt, fast zu ersticken. Irgendwie schaffe ich es aber trotzdem, wieder einzuschlafen, bis mich mein Harndrang wieder weckt. Da sich die Toiletten in diesen Lodges meistens ausserhalb des Gebäudes befinden, habe ich mir vor zwei Tagen eine Art Nachthafen gebastelt. McGiver lässt grüssen! Einer leeren, verschlossenen  Mineralwasserflasche habe ich den Boden abgeschnitten und kann diese nun im Stehen bequem füllen. Zum Glück bin ich keine Frau! Falls du das anstössig oder eklig oder so findest, stört mich das keineswegs! Du könntest ja in der gleichen Situation mit der Taschenlampe den Weg durch die verwinkelten Gänge der Lodges suchen. Du würdest dann in die gefrorene, stockdunkle Nacht hinaus gehen, das Plumpsklo aufsuchen und dort dein Geschäft verrichten. Pass aber auf, dass du nicht plötzlich durch das Loch im Bretterboden fällst!

Mittwoch, 22. Oktober Wie jeden Tag, so schütze ich auch heute meine Fersen mit Klebeband. Eigentlich sind meine Trekkingschuhe recht bequem, doch möchte ich da kein unnötiges Risiko eingehen. Ich erinnere mich noch allzu gut, wie ich in der Rekrutenschule an Blasen gelitten hatte. Das möchte ich nicht noch einmal erleben. Zudem laufen wir ja täglich mindestens vier bis sechs Stunden und das noch während weiteren acht Tagen. Direkt hinter unserer Lodge, wo ich übrigens nicht als einziger Tourist die ganze Nacht gefroren habe, führt ein Weg auf den Chhukung Ri. Nach dem Frühstück machen Lalit und ich uns daran, diesen Berg zu erklimmen. Das ist ein happiger Aufstieg über Geröllfelder und durch nassen, knöcheltiefen Schnee. Nach der überwundenen Höhendifferenz kommen wir nach zwei Stunden auf dem Gipfel an. Von hier aus kann ich das perfekte Panorama mit Nuptse (7’861 müM), Lhotse (8’501 müM) und Ama Dablam (6’856 müM) bewundern. Nachdem ich fast eine Stunde jeden möglichen Winkel der Berge und Gletscher gefilmt habe, ist der Abstieg natürlich nur noch halb so streng. Wir machen einen Zwischenhalt in Chhukung, wo ich mich mit Dal Bhat, dem Nationalgericht, stärke. Eine Linsensuppe, zusammen mit Reis und einem Gemüse-Kartoffelgemisch in rauen Mengen verspeist – glaube mir – das gibt Boden! Danach kehren wir wieder zurück nach Dingboche, wo ich gestern noch in der schönen „Snow Lion Lodge“ ein Zimmer reserviert habe. Die guten Lodges sind nämlich oftmals von Gruppen ausgebucht und schon am frühen Nachmittag besetzt. Die Sonne verschwindet jeweils gegen halb fünf hinter dem prächtigen Himalaya-Panorama. Kurz darauf wird es sofort empfindlich kalt. Alle Touristen und die Guides hocken dann im Gemeinschaftsraum der Lodges und warten, bis gegessen werden kann. Zwischen acht und allerspätestens neun Uhr verziehen sich die „Touris“ in die Schlafräume (man könnte auch „Kühlschränke“ sagen). Die Führer und Träger ver-bringen jeweils, nachdem sie zum zweiten oder dritten Mal am Tag ihr Dal Bhat verschlungen haben, die Nacht auf den Bänken im Essraum oder in einem separaten Massenlager.

Heute ist mir wieder bewusst geworden, dass ich mich vor etwa 80 Tagen von meiner Familie verabschiedet habe und nochmals fast so lange ohne sie auskommen muss. Es ist schon eine lange Zeit!

Nächstes Ziel: Lobuche

Donnerstag, 30. Oktober Diese Nacht schlafe ich wieder einmal ausgezeichnet. Es ist auch nicht mehr so kalt wie die Nacht zuvor. Doch aus dem Schlafsack kriechen, ist fast noch schlimmer als sich am Abend auszuziehen und im kalten Sack zu verschwinden. Zum Glück wärmt die Sonne, die so gegen halb acht hinter den Bergen hervorschielt, schnell auf. Nach meinem Standardfrühstück, eine Tasse schwarzer Kaffee, zwei bis vier Toasts und zwei Spiegeleier, wandern wir wieder eine Etappe weiter. Das Ziel heisst Lobuche, das wir gegen Mittag erreichen. Doch hier gibt es noch weniger Lodges, so dass wir nur noch in der letzten Unterkunft, der teuersten bis jetzt auf meinem Treck, einen Platz finden. Mit 15 US-Dollar für das Zimmer ist sie doppelt so teuer wie die teuerste Unterkunft in Nepal, die ich in Kathmandu, der Hauptstadt, hatte. Du siehst, das Kostenniveau hier in Nepal ist auf einer ganz anderen Ebene als bei uns zu Hause angesiedelt. Den Nachmittag und Abend fülle ich mit sonnen und den anderen „Aktivitäten“, die eben so möglich sind, aus. Hier gibt es keine grossen Änderungen zu den vorigen Tagen. Auch heute kommen wieder zwei Ärzte, oder eine Art Krankenpfleger, in die Lodge und fragen überall herum, ob sich die Trekker, Guides und Sherpas wohl fühlen oder ob Anzeichen von Höhenkrankheit oder andere gesundheitliche Probleme vorhanden sind. Seit wir über die 4’000 Meter Grenze gestiegen sind, besuchen uns diese Helfer jeden Abend. Die Höhenkrankheit ist wirklich ein akutes Problem und kann im schlimmsten Fall tödlich enden!

Freitag, 31. Oktober Am Vorabend habe ich meinen grossen Rucksack gefüllt und vor die Türe gestellt. Ich habe nur den Schlafsack und die Zahnbürste bei mir. Lalit hat mir nämlich vorgeschlagen, dass er schon um sechs Uhr loslaufen wolle, da es in Gorakshep nur zwei Lodges gibt und es deswegen bei den Zimmern zu Engpässen kommen könne.

Der letzte Uebernachtungsort vom Aufstieg; Gorakshep auf 5150 m.ü.M

Nach dem Frühstück ist es für mich sehr schwierig, die Zähne zu putzen, da die Zahnpasta zähflüssig, oder besser gesagt, eingefroren ist! Auch die Sonnencrème muss ich zuerst eine Viertelstunde in meine Unterhose stecken, bevor ich mit Müh und Not ein kleines Würstchen  hervorzaubern kann (aus der Crèmetube, wohlverstanden!). Die Nächte hier sind einfach viel zu kalt! Den stetigen Aufstieg zur höchsten Übernachtungsstation während meiner Reise auf 5’150 Meter in Gorakshep, schaffe ich in zweieinhalb Stunden. Da esse ich eine Nudelsuppe und mache mich dann aber sofort auf, den höchsten Punkt meiner Reise, den Aussichtsberg Kala Pattar auf 5’540 Meter über dem Meer, zu erklimmen. Während diesem Aufstieg muss ich hart an mein Limit gehen und fast rennen, da die Wolken sich heute schon früh bemerkbar machen. Kurz vor dem Gipfel kann ich dann fantastische Bilder vom Mount Everest (8848 müM) und dem Nuptse auf Film bannen. Während dieser Minuten habe ich eine unglaubliche Aussicht auf die höchsten Berge der Welt. Viel später hätte ich auch nicht eintreffen dürfen, denn die Wolken schieben sich ziemlich schnell vor diese geniale Aussicht. Auf einem der vielen Poster, die in den Lodges hängen, habe ich unter dem Bild des Mount Everest einen treffenden Satz gelesen: „Mount Everest will bring tears to your eyes – and then freeze them to your face!“ Wie Recht der Autor dieses Satzes doch hatte!

Am Nachmittag und Abend hocken über fünfzig Touris im Essraum der Lodge, der jedoch nicht viel grösser als unser Wohnzimmer ist. Hier höre ich von vielen Trekkern, dass diese, wie ich auch, zwischen unglaublichen Aussichten auf die schöne Bergwelt und dem Leiden dafür, hin- und hergerissen sind. Ich schätze, dass jeder vierte oder fünfte mit starkem Kopfweh oder Durchfall zu kämpfen hat. Es gibt fast keinen, der nicht die arktische Kälte verdammt. Viele schlafen kaum, da sie einfach nur frieren und, wie ich, vom „warmen“ Kathmandu oder gar von anderen asiatischen Ferien- und Badedestinationen träumen. Zum Glück habe ich fast jede Nacht ein Doppelzimmer für mich alleine, wo ich die zweite Decke nehmen kann und so doch einigermassen gut schlafe. Zudem habe ich Lalit, der wie eine Mutter für mich sorgt: er organisiert mir warmes Wasser, wenn ich wenigstens die Hände einmal gescheit waschen will. Zu viel mehr Körperpflege habe ich in dieser Kälte wirklich keine Lust. Er schaut oftmals draussen nach, ob sich ein lohnender Sonnenuntergang hinter den Nachmittagswolken abzeichnet und macht mich darauf aufmerksam. Er schaut auch immer, dass ich mein Essen zur gewünschten Zeit bekomme, oder dass ich eine Kerze erhalte, wenn das Zimmer kein elektrisches Licht hat (was meistens der Fall ist)! Dass er immer wieder schnellen Schrittes mit meinem Gepäck auf dem Rücken vorausgeht und Lodges für mich reserviert, habe ich ja schon erwähnt.

Wanderung zum Everest Base Camp

Samstag, 1. November Jetzt habe ich doch noch eine gute Nachricht über die Kälte in den Zimmern. Meine Wander- und Trekkingschuhe sowie die Socken stinken überhaupt nicht, wenn ich sie nach einem anstrengenden Wandertag ausziehe und unter mein Bett schiebe. Ich denke, es liegt daran, dass der Schweiss innerhalb weniger Minuten gefriert und sich so der üble Geruch gar nicht entfalten kann… Heute wartet der zweite Höhepunkt auf diesem Trekking auf mich. Das Everest Base Camp. Mit den diversen Stopps auf dem Weg und am Khumbu Gletscher, wo es leider auch einen bei der Landung abgestürzten Helikopter zu sehen gibt, müssen wir fast drei Stunden bis zur kleinen Zeltsiedlung wandern. Es ist einfach unglaublich! Es gibt Bergsteiger, die zuerst einmal hier herkommen müssen, bevor ihr ultimatives Abenteuer richtig beginnt und sie versuchen, ihre Träume zu verwirklichen. Von hier aus haben sie dann noch weitere dreieinhalb Kilometer Höhe bis zur Spitze des Mount Everest zu überwinden! Auf dem Rückweg habe ich nochmals einen freien Blick auf den höchsten Berg der Welt. Gegen Mittag sind wir in Gorak Shep zurück. Obwohl mein Führer und Sherpa für diesen Ausflug meinen kleinen Rucksack mit der Videokamera, den Batterien, Objektiven und dem Stativ getragen hat, bin ich schon jetzt total erschöpft. Wir mussten zwar nicht einmal 200 Höhenmeter bewältigen, doch auf 5’000 Meter über dem Meer verlangt dies für einen Flachländler wie mich schon einiges ab. Nach meiner obligaten Suppe müssen wir jetzt „nur“ noch dreieinhalb Stunden sehr schnell laufen bis wir in Periche ankommen. In der Gegenrichtung wären das, wegen den starken Steigungen, zwei Tagesmärsche gewesen. So kommen wir, auf dem Zahnfleisch und totmüde, kurz vor Sonnenuntergang in der Lodge an. Schon um acht Uhr falle ich ins Bett und schlafe so tief und lange wie noch nie auf diesem Trekkingtrip.

Es geht weiter von Periche zurück  und runter nach Tengboche

Sonntag, 2. November Lalit verrät mir am Morgen, dass auch er, vollkommen fertig, über zehn Stunden, wie immer im Esssaal, geschlafen hat. Heute dürfen wir eine leichte Etappe in Angriff nehmen. Ein richtiger Sonntagsspaziergang. Es geht in „nur“ vier Stunden zurück nach Tengboche. Auf dieser, meist absteigenden Teilstrecke gibt es wieder mehr Trekker und auch Träger als in den oberen Regionen. Manchmal wird, ohne etwas zu sagen, aneinander vorbeigelaufen. Doch meistens grüssen sich die Wanderer aus allen Herrenländern auf nepalesisch mit „Namaste!“. Teilweise hörst du auch ein „Hello“ oder „Hi“. Nur die Franzosen sagen immer und ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen laut und deutlich: „Bonjour“! Vor Jahren, als ich zusammen mit Nicole durch Südamerika reiste, machten wir schon ähnliche „Studien“. Wir schauten auf die Schuhe und die Sonnenbrillen der Traveller und kamen zu folgendem Schluss: Träger von teuren, topmodernen und guten Turnschuhen waren Schweizer. Heilandsandalen wurden von Israelis getragen. Heilandsandalen mit Socken sind die bevorzugten Treter der deutschen Touristen. Schwarze, gestylte Markensonnenbrillen sassen auf den Nasen der Italiener. Du kannst mir glauben, in 90 % der Fälle lagen wir richtig! Heute nehme ich mir nach dem Marathon von gestern wirklich viel Zeit, um die Landschaft und die Leute zu geniessen. In Tengboche, dem Klosterort, ist es aber leider wieder neblig, kalt und unerfreulich. Da denke ich doch gerade wieder an Nicole und muss sie, als sie einmal auf unserem Australientripp vor Kälte fast verzweifelte, zitieren: „Das sind doch keine Ferien!“ Aber ich befinde mich ja auf einer längeren Erlebnisreise. Da kann es eben schon vorkommen, dass das Wetter etwas gemütlicher sein könnte, als ich es jetzt gerade erlebe. Dabei darf ich all die Trekker nicht vergessen, die während einer organisierten Tour in kleinen Zelten übernachten und auch „überleben“! Wie diese Leute die Kälte aushalten ist mir aber wirklich ein Rätsel.

Montag, 3. November Heute werde ich um halb sechs von einer Art „Guten Morgen Ruf“ der Mönche, den sie mittels eines Hornes in die Bergwelt hinausschmettern, geweckt. So bin ich auch schon zeitig am Frühstückstisch. Doch um ein letztes Foto des imposanten Klosters zu schiessen, warten wir die ersten Sonnenstrahlen ab und laufen erst um halb neun in Richtung Namche los. An dieser Tagesetappe ist ein bisschen ärgerlich, dass wir zuerst etwa 600 Meter an einen Fluss hinuntersteigen und nachher über 700 Meter über Khumjung bis nach Syangboche hinaufgehen müssen. Hier befindet sich das Hotel „Everest View“, wo sich die super-reichen Japaner per Helikopter einfliegen lassen, um einen Blick auf den doch ziemlich weit entfernten Mount Everest erhaschen zu können. Am Nachmittag, in Namche, gehe ich noch kurz ins Naturhistorische Museum, das eine kleine Ausstellung über den Sagarmatha-National-park beherbergt. Später gönne ich mir wieder einen leckeren Apfelstrudel in einer der guten Bäckereien, bevor ich zurück in das beste Hotel seit meinem Himalaya-Abenteuer gehe. Hier gibt es das erste Mal, nach der 15-Dollar Lodge, sogar doppelte Sperrholzwände zwischen den kleinen Zimmern. In höheren Lagen wäre mehr als eine sechs Millimeter dicke Sperrholzplatten zum nächsten Schnarchelraum undenkbar. Ich lasse das erste Mal seit zehn Tagen wieder Wasser an meinen ganzen Körper. Denn hier gibt es wieder eine richtige Warmwasser-dusche, was ich in vollen Zügen geniesse. So weit ich mich erinnere, ist mir das in meinem Leben noch nie passiert, dass ich mich während einer so langen Zeit nicht gewaschen und zudem meine Kleider so selten gewechselt habe. Aber auch hier gilt, wenn du das besser, das heisst auch sauberer machen kannst, dann gehe doch in das schöne Nepal auf einen solchen Trek und probiere es mal aus. Ich jedenfalls „did it my way…“, um Frank Sinatra zu zitieren. Hier noch eine Kurzinfo betreffend meine Gesundheit. Seit etwa vier Tagen schmerzt meine Nase recht stark. Zuerst habe ich gedacht, dass es wegen meiner Sonnenbrille ist, die auf das Nasenbein drückt. Ich habe dann mein Nasenvelo mit demjenigen von Lalit getauscht. Doch das hat bis jetzt auch nichts genützt. So denke ich, dass ich eine Erkältung habe, die sich jedoch so anfühlt, als ob ich einen Faustschlag abbekommen hätte. Der Bayer würde sagen: „Schaun mer mal…“

Dienstag, 4. November Von Namche aus habe ich für heute einen Ausflug geplant. Das Ziel ist das Kloster in Thame. So machen wir uns gegen halb neun bei strahlendem Sonnenschein auf den Weg. Die ersten Kilometer sind recht angenehm zu gehen. Doch nach etwa zwei Stunden zeigt sich, dass die letzten vierzehn Tage doch recht an meinen Kräften gezerrt haben. Ich beginne schon ein bisschen zu leiden. Aber ich kann doch da nicht schon schlapp machen! Es liegt nämlich noch ein rechtes Stück Weg vor uns. Während diesem ersten Teil der Wanderung diskutiere ich viel mit Lalit. Er ist nicht der erste Asiate, den es sehr interessiert, wie ich in der Schweiz lebe, wie viel ich verdiene und was denn alles so kostet. Er erzählt mir, wie er sein Leben und das seiner Familie abläuft und wie er seit Jahren versucht, ein Visum für Japan zu bekommen. Er erzählt mir von seinen Sehnsüchten und was er gerne in seinem Leben erreichen möchte. Alles in allem ist der Weg so recht kurzweilig, jedoch geht das ständige auf und ab ziemlich in die Knochen. In Thame sehe ich, was ich in meinem Reiseführer schon gelesen habe; das Kloster befindet sich nochmals etwa 200 Höhenmeter bzw. über eine halbe Stunde Weg über dem Dorf. Diesen Weg gehe ich noch alleine und komme total erschöpft im Klosterdorf an. Dort besuche ich die Gampa, das Betgebäude der Mönche. Nach dem steilen Abstieg habe ich meine Nudelsuppe und die Coca Cola mehr als verdient. Nach dem Mittagessen warten dann „nur“ noch knappe drei Stunden Wanderung auf uns. Hier darf ich nochmals erwähnen, wie froh ich bin, dass Lalit mit mir auf diesem Treck ist. Denn auch heute hat er wieder den ganzen Tag meinen kleinen Rucksack getragen. Zudem ist es einfach angenehm, wenn ich für dieses und jenes einen Helfer habe. Und zu guter Letzt ist er sehr angenehm, freundlich und aufmerksam! Seine Adresse findest du am Schluss des Buches! In Namche begleitet mich Lalit auf den Markt, wo wir von den Tibetern, die dort ihre Ware täglich feilbieten, zwei Nike-Mützen für je etwa einen Franken für meine Söhne kaufen. Ich bin sicher, dass mich die Verkäufer ohne die Hilfe von Lalit heillos ausgenommen hätten. Ich hätte sicher mindestens das Doppelte bezahlen müssen… Sonst gibt es hier ausser wirklich billigem Ramsch, nichts zu kaufen. Später gehe ich noch in einen Internetcafé. Ja, das gibt es sogar auf 3’440 Meter über Meer. Das läuft direkt über Satellit. Die Verbindung ist ultraschnell, doch auch recht teuer. So lese ich nur die Mails meiner Eltern, von Noé und von André Hempel (das Geschäft interessiert mich eben schon…). Diese Mails sind jeweils totale Aufsteller für mich. Doch ich will sie erst in Kathmandu beantworten. Ich möchte hier das Traveller Budget ja nicht über Gebühr strapazieren.

Letzte Etappe im Himalayagebiet über Phakding nach Lukla

Mittwoch, 5. November Die letzte Etappe steht an: beim Hinweg habe ich für diese Strecke zwei Tage eingerechnet, um mich besser an die Höhe zu gewöhnen, heute mache ich das in einem. Lalit habe ich mit dem grossen Rucksack schon einmal vorausgeschickt. So kann er nach seiner „Geschäfts-reise“ seine Familie in Phakding ein bisschen länger sehen und ich habe genügend Zeit, um nochmals so richtig drauflos zu filmen. Dieses Vorhaben geht aber nur bis zur Mittagszeit auf, weil mir danach die Wolken wieder die ganze Belichtung in den Schatten stellen. So laufe ich also heute etwa sieben Stunden, vor mich hin meditierend, den Berg hinunter. Die vielen Touristen, die kraftvoll und enthusiastisch den Berg angehen, grüsse ich, natürlich ohne dass sie es hören können mit den Worten: “Wenn ihr wüsstet, was euch da noch alles erwarten wird…“. Dazu muss ich natürlich anfügen, dass dieses Erlebnis, dieses Trekking, für mich wirklich einmalig war und ich diese Erfahrung nicht missen möchte. Aber ich habe einmal jemanden ziemlich treffend philosophieren hören: „Je schmerzhafter es ist, desto schöner ist es auch“, und es tat teilweise schon recht weh! In Phakding lädt mich Lalit dann in seine Wohnung, die an der Wanderstrecke liegt und deswegen auch als Teestube dient, zu Dal Bhat ein. Die gute Lage seiner kleinen Verpflegungsstation, die seine Frau führt, erklärt auch, dass er in dieser Gegend so viele Guides und Sherpas kennt und immer und überall ein bisschen diskutieren kann. Nach der Hälfte des heutigen Wandertages ist dieses Mittagessen das Beste, was ich zu mir nehmen kann. Das wird mir für den Rest und die letzte Halbetappe die nötige Energie geben. Obwohl auf den letzten Kilometern nochmals einige Steigungen im Wegeprofil sind, ist dies eine der schönsten Teilstrecken. Es geht nämlich dem hochverdienten Endziel entgegen! Im Hotel in Lukla, wo ich am ersten Tag schon mein Flugticket zur Rückbestätigung hinterlassen habe, komme ich gegen vier Uhr an. Lalit, der noch länger bei seiner Frau und seinem Sohn geblieben ist (die Tochter war in der Schule), kommt wenig später an. Ich erwähne das deshalb, da ich ihn nachher dazu „nötigte“, dass er mir ein paar Texte für meinen Videofilm in seiner Muttersprache in meine Kamera spricht. Ob es etwas geworden ist, kannst du ja dann bei einer meiner Filmvorführungen sehen. Nach dem Abendessen und einer weiteren schönen Dusche falle ich um halb acht todmüde ins Bett.

Donnerstag, 6. November Heute heisst es von dieser eindrucksvollen Bergwelt Abschied zu nehmen. Doch, es darf einfach nicht wahr sein; der Himmel sieht wieder einmal sehr verhangen aus. Nebel wohin ich blicke! Da ist ans Fliegen nicht zu denken! Ich verstaue meine Siebensachen trotzdem in meinem Rucksack und gehe nach dem Frühstück, nachdem ich mich von Lalit verabschiedet habe, in den nicht mehr als sieben Meter von meiner Lodge entfernten Flughafen. In der Abflughalle herrscht das reine Chaos. Diverses Gepäck steht in riesigen Haufen auf dem Boden herum und ein Haufen Touristen steht ums Gepäck herum! Doch von Mitarbeitern der verschiedenen lokalen Fluggesellschaften ist weit und breit nichts zu sehen. So pendle ich zwischen Hotel und Abflughalle hin und her in der Hoffnung, dass sich der Nebel dann doch noch lichtet und ich fliegen kann. Zum Glück verziehen sich plötzlich die dicken Nebelschwaden und los geht´s. Auf einmal fliegen die Kleinflugzeuge in zehnminütigem Abstand, wie Perlen an einer Schnur gezogen, von Kathmandu herein. Es vergehen nur wenige Minuten, bis die alten mit den neuen abenteuerlustigen Trekker ihren Platz getauscht haben. Nach einer solchen, nur wenige Minuten dauernden Pause begeben sich die kleinen, zweimotorigen Maschinen auf die kurze, dafür steil abfallende Startpiste. Es grenzt jeweils fast an ein Wunder, dass die Flugzeuge kurz vor dem Ende der Piste und somit auch wenige Meter vor dem tiefen Abgrund, in die Luft abheben!

Zurück in Kathmandu

Freitag, 7. November Heute verbringe ich wieder einen Zwischentag. Ich habe fast alle Kleider zum Waschen gegeben. Dann packe ich alle Säcke und Plastiksäcke aus und sortierte die Inhalte neu. Ich surfe mehrere Male im Internet, um Mails zu checken um weltpolitisch und sportlich wieder auf dem Laufenden zu sein. Ich tätige nochmals ein paar Schokoladenkäufe (man weiss ja nie, wann man in Tibet wieder auf etwas Essbares stossen wird). Àpropos Essen: Als Mittag- und Abendessen verleibe ich mir natürlich wieder einige gute europäische Sachen ein. Thamel ist da wegen der riesigen Auswahl einfach grossartig. Ich fühle mich dabei aber auch sofort wieder ein bisschen komisch. Da hast du vom zweiten Stock eines schönen Restaurants Ausblick auf die von Musik und Rikscha Geläut eingenebelte Strassen von Tamel, wo sich die Touristen in den Restaurants und Bäckereien sättigen, und andererseits die professionellen Bettlerinnen mit ihren (geliehenen?) Kindern die hohle Hand machen. Da prallen zwei total verschiedene Welten auf engstem Raum aufeinander. Und ich befinde mich mittendrin! Ich habe den heutigen Organisationstag nur mit einem dreistündigen Ausflug in den Stadtteil Patan unterbrochen. Da banne ich am Durbar Square die verschiedenen Tempel und einen Teil der Menschenmassen, die sich in dieser Gegend tummeln, auf Film. Einmal mehr kann ich mich wieder intensiv meinem Hobby, dem Videofilmen, widmen.

Start vom nächsten Abenteuer; Tibet ruft!

Samstag, 8. November Jedes Mal, wenn ich früh aufstehen soll, kann ich, obwohl ich beide Wecker stelle, schon Stunden vorher nicht mehr schlafen. Ich bin dann einfach viel zu aufgeregt. So bin ich heute schon um fünf Uhr bereit, um per Rikscha (= Velotaxi)  in die Busstation zu fahren. Dort warte ich dann über eine Stunde, bis ich in einem der zwei Touristenbusse Richtung Tibet abfahren kann. Zuerst geht es auf normalen Strassen nach Kodari, dem Grenzort auf Nepalischer Seite. Kurz vor diesem Dorf beginnt das Abenteuer dann aber schon richtig. Während eines kurzen, weder geteerten noch steinigen Aufstiegs, kommen wir nicht mehr weiter und müssen aussteigen. Dank einigen Leuten, die Steine und trockene Erde in die nassen, tiefen Spurrillen werfen, können wir nach mehreren Versuchen wieder weiterfahren. So gegen Mittag kommen wir an der Grenze an und müssen dann zu Fuss etwa 10 Minuten gehen, die Pässe unserem Nepalischen Guide abgeben und erstmals auf dieser Reise warten. Es sollte in der nächsten Zeit nicht das einzige Mal sein, dass Geduld gefragt ist… Nach etwa einer Stunde werden wir weitere 500 Meter, bis zu einem Grenzposten, vorgelassen. Dort, nachdem wir in einer Reihe wie Gänse gestanden und gewartet haben, wird mit einer Art Fiebermesser für die Ohren die Temperatur kontrolliert. Es wird geprüft, ob eventuell Fieber ein Anzeichen für SARS sein könnte. Danach geht es mit Sack und Pack zu Fuss den Berg hinauf, wo ein Bus und zwei Jeeps auf uns warten. Mit diesen können wir dann ein paar Kilometer weiter den Berg hinauf nach Zhangmu, dem Grenzort auf tibetischer Seite, fahren. Auch dort folgt wieder fast endloses Warten, bis die Gruppe wieder zusammen ist und danach, bis die Pässe kontrolliert werden können. Doch es kommt wie es kommen muss: Wie von Geisterhand fällt der Strom aus! Das wird uns jedenfalls nach langem, nutzlosem Herumstehen so gesagt. Die Computer spucken unsere Personaldaten nicht mehr aus und nichts geht mehr! Oder haben die Chinesen einfach keine Lust, uns hier und heute noch abzufertigen? Ich möchte niemandem etwas unterstellen. Aber hier gelten einfach andere Gesetze. So sind wir gezwungen, in diesem eigenartigen Bergort zu übernachten. Im ersten Hotel können wir nicht bleiben, da dies für unseren, jetzt tibetischen Führer zu teuer ist. So pilgern wir in eine zweite Absteige, wo wir verschiedene Fünferzimmer beziehen. Auch die Toiletten, ein endloses Thema auf Chinareisen, erinnern mich stark an diejenigen, die Nicole und ich vor Jahren schon zur Genüge sahen. Ein Loch, das sich dreckig und stinkig in der Ecke eines Raumes befindet und eher schlecht als recht vom Rest des Toilettenraumes abgeschirmt ist, lädt nicht gerade zum Geschäft ein. Ich hoffe du findest das nicht zu eklig, doch am liebsten hätte ich mir bei diesem Anblick einen Zapfen hinten rein gesteckt, der mir den Toilettengang für die nächste Woche ersparen würde!

Sonntag, 9. November Durch die zweieinviertelstündige Zeitumstellung  wird es erst gegen acht Uhr hell. Darum müssen wir auch erst zum Dienstantritt der Beamten, um 10 Uhr, wieder am Grenzposten erscheinen. Es heisst wieder in Reih und Glied anstehen und, wie könnte es anders sein, zu warten. Dieses Mal geht es über zwei Stunden bis die ganzen Zollformalitäten mit dem A4-Papiervisum, ein so genanntes Gruppenvisum, gemacht werden können. So, jetzt sollte es aber losgehen! Denkste! Der Bus, der gestern schon am ersten Berg schlapp gemacht hat, verliert wieder Öl. So warten wir einmal mehr, bis unser Guide ent-weder einen anderen Bus gefunden oder drei weitere Geländefahrzeuge aufgetrieben hat. Nach dem Mittagessen stehen insgesamt fünf 4×4-Fahrzeuge bereit. Unsere 25 Gruppenmitglieder können einsteigen und, erst gegen 15 Uhr, endlich losfahren. Dann geht es aber rasant bergauf. Ich bin zusammen mit dem Deutschen Martin und seiner Nepali Frau im Auto. Weiter ist noch ein koreanisches „Mitte-Fünfziger Paar“, das in Amerika lebt, jedoch für ein Hilfswerk in Nepal Schulen und Spitäler aufbaut, mit dabei. Wir sollten noch die nächsten Tage zusammen diverse schwierige Fahrten erleben. Innerhalb von drei Stunden über-winden wir über 3’000 Höhenmeter und überqueren zwei Pässe, die über 5’000 Meter gelegen sind. Diese Tortur ruft bei den meisten Kollegen Kopfschmerzen und Unwohlsein hervor. Mir hat das zum Glück nichts gemacht, da ich ja von meinem Trekkingtripp her schon „vorbelastet“ bin. Die letzten, etwa fünfzig Kilometer machen wir bei Vollmond bis zu einem äusserst verlassenen Dörflein namens Tingri. Dort, total durchgeschüttelt und von den staubigen Schotterstrassen gezeichnet, werden wir in einer kleinen, Motel ähnlichen Lodge untergebracht. Strom ist da absolute Mangelware, die Einrichtungen mehr als „basic“ und kalt ist es wie schon lange nicht mehr. Diejenigen, die noch etwas essen können, haben im kleinen Restaurant, das mich an die Lodges auf dem Himalaya-Trekking erinnern, noch eine Suppe oder irgendein Reisgericht bestellt und ziehen sich dann bald auch erschöpft in die frostigen Steinbaracken zurück.

Montag, 10. November Heute geht es um viertel vor neun, abgemacht war acht Uhr, weiter. Doch zuerst muss ich, wie sich das so nach dem Frühstück und einem oder zwei Tassen Kaffee bei mir eingestellt hat, meinen Darm entleeren. Und da die Toiletten in Budgetunterkünften oder öffentlichen Orten hier in Tibet oder China halt anders aussehen als bei uns zu Hause, erhält der heutige Stuhlgang einen speziellen Eintrag. Ganz an der rechten Seite des Gebäudes ist eine Tür in roter, halb verlaufener Farbe mit „Toilet“ beschrieben. Als ich diese aufstosse, sehe ich in einem dunklen, alten Raum vier längliche Löcher im Steinboden, die jeweils im Umkreis von etwa zehn bis fünfzehn Zentimetern relativ braun und nass sind. Die Boxen sind mit etwa einen Meter hohen Sperrholzwänden voneinander seitlich abgetrennt. Von vorne sind diese Örtchen offen. In der letzten Box kauert Martin, der Deutsche und versucht, sein Geschäft zu verrichten. Ich nehme, nachdem ich die Taschenlampe aus meiner Hosentasche entfernt und an der gegenüber-liegenden Wand deponiert habe (ich möchte nicht, dass sie auf einmal aus der Tasche fällt und für immer im zwei Meter tiefen, grässlich stinken-den Loch verschwindet), neben ihm Platz. Hosen unten, in tiefster Kauerstellung und mit riesigem Kraftaufwand sprechen wir uns Mut zu, auf dass wir unser Geschäft so rasch und gründlich wie möglich verrichten mögen! Ein bisschen neidisch sehen wir dann dem Tibeter, der kurz nach mir eintritt und sich in die andere Ecke begibt, zu, wie er locker und entspannt seine Morgentoilette verrichtet… Heute ist wieder ein ganzer Tag Fahren angesagt. Das ist echt anstrengend, da die holprige Staubpiste wiederum auf einem Pass von über 5’200 müM ihren Kulminationspunkt hat. In Lhatse, wo wir etwa gegen ein Uhr ankommen, essen wir in einem Touristenrestaurant etwas, nachdem wir nach langem Warten endlich die obligate Suppe serviert bekommen. Das Beste an der künstlich verlängerten Mittagspause ist jedoch, dass ich auf der Strasse viele Portraits von Kindern und Erwachsenen schiessen kann. Es folgen weitere vier Stunden Fahrt auf dem Hochplateau, bis plötzlich eine geteerte, breite Strasse vor uns liegt, die mit riesigen, wie Christbäume geschmückten Kandelabern gesäumt ist. Kurz darauf befinden wir uns mitten in Shigatse, der zweitgrössten Stadt in Tibet. Der Fahrer fährt zielstrebig ein schönes Hotel an, das jedoch schon ausgebucht ist. Komisch, oder? Da bist du auf einer geführten, organisierten Tour und die Unterkunft ist ausgebucht! Dann müssen wir eben in ein anderes Hotel, das wahrscheinlich das teuerste am Platz ist. Darum gibt es wieder endlose Diskussionen, ob wir dort bleiben können und wer wo schlafen darf. Das ganze Hin und Her hat uns wieder fast zwei Stunden gekostet. Als alles geklärt ist, kann ich die zweite Nacht zusammen mit Rey, einem Australier, im schönsten Zimmer, das ich seit Anfang der Reise habe, übernachten. Die ganze Warterei verbringe ich mit Schreiben auf meinem Palm. Auch heute fragen mich die Leute wieder, ob ich Journalist sei. Leider nicht! Es wäre schön, wenn ich so gut und prägnant schreiben könnte. Denn ich muss mich wirklich anstrengen, damit ich einigermassen ordentliche Sätze zusammenbringe. Da wird meine Lektorin viel zu tun haben, vorausgesetzt, ich wage es wirklich, aus diesen Zeilen ein Buch zu produzieren. Auch am Abend, um halb elf Uhr, bequem im Bett liegend, schreibe ich noch. Diesen Moment werde ich wohl nie wieder vergessen! Denn auf einmal, ich weiss nicht, ob ich irgendeine komische Tastenkombination gedrückt habe oder ob mich der Palm einfach extrem ärgern wollte, hat mich das Programm etwas gefragt und ich habe „ja“ gedrückt. Was ich danach aber erst realisiere, ist für mich der „Supergau“; der Palm macht nämlich einen Setup und alle Daten sowie alle Programme, die ich zu Hause noch geladen habe (Kurzversion von Word, Excel und den Treiber für die Tastatur) sind gelöscht. So etwas Ähnliches ist mir doch schon mal passiert. Nur damals hatte ich nur eine einzige Datei temporär verloren (54. Tag). Ich liege die halbe Nacht schlaflos im Bett  und stelle mir vor, was das für mich nun bedeutet. Zwischen aufgeben, weiterschreiben und nochmals alles schreiben schiessen mir alle möglichen Varianten durch den Kopf. Meine einzige Hoffnung ist eine Sicherungskopie, die ich vor etwa fünf Tagen auf einem Speicherchip gemacht habe. Falls ich es aber nicht schaffen sollte, vom Palm die gelöschten Programme herunter zu laden, kann ich nicht mehr mit der praktischen Tastatur arbeiten. So muss ich versuchen, mein Tagebuch mit dem im Palm eingebauten Diktafon aufzunehmen oder auf Papier zu schreiben und jeweils am Abend oder wenn ich gerade dazu komme, in einem Internetcafé auf mein Mail zu schreiben. Das ist natürlich viel komplizierter und macht weit weniger Spass als ich bis jetzt hatte. Das ist echt Schei…!

Wir sind beim Tashilhunpo-Kloster

Dienstag, 11. November Ich fühle mich gerädert und total unmotiviert. Das mit dem Palm hätte wirklich nicht sein müssen! Aber was soll´s? Da muss ich durch! Nach dem Frühstück gibt es wieder Diskussionen um den Tagesplan. Der Guide schlägt uns vor, sofort weiter zu fahren. Doch wir Touristen wollen natürlich das Tashilhunpo-Kloster, eines der wichtigsten und grössten in Tibet, besuchen. Er gibt schliesslich klein bei und bezahlt uns den Eintritt. Ich glaube, es geht ihm letztlich nicht darum, die verlorene Zeit vom Zolldebakel am Anfang wieder einzuholen. Er will sicherlich nur die Kosten für die Reise so tief wie möglich halten. Das Kloster ist dann auch eines der ersten grossen kulturellen Highlights auf dieser Tibettour! Während einer kurzen Fahrt auf einer gut ausgebauten Strasse, wo wir trotzdem unsere zweite Reifenpanne erleiden, fahren wir dann nach Gyantse. Dort gibt es am Nachmittag, neben dem Kloster, die grösste Stupa Tibets zu bewundern.

Hier gerade noch eine kleine Anmerkung zu den Fahrzeugen. Insgesamt mussten die Reifen pro Fahrzeug zwei bis drei Mal, auf den etwa 1’000 Kilometern von der Grenze bis nach Lhasa, gewechselt werden. Vier Israeli weigern sich am dritten Tag, mit ihrem Fahrzeug weiterzufahren, da der eine, von Beruf Automechaniker, den Bremsen und den Fahrkünsten des Lenkers kein Vertrauen mehr schenkt. Da sind wir in unserem 4×4-Geländewagen noch recht gut bedient. Der Driver ist gut und vorsichtig und der Zustand des Autos, wie wir das beurteilen können, in Ordnung.

Letzte Etappe nach Lhasa, was für eine faszinierende Stadt

Mittwoch, 12. November Wir nehmen die letzte Etappe Richtung Lhasa in Angriff. Es geht wieder über zwei Pässe, einer davon liegt über 5’000 müM. Nach etwa einer Stunde auf den Holper- und Staubstrassen wird uns der erste besondere Aussichtspunkt präsentiert. Der weite Ausblick auf einen tiefblauen Stausee, der sich auf dieser Höhe befindet, ist beeindruckend. Auf einer nicht enden wollenden Strasse geht es an einem weiteren, riesigen See entlang. Wir fahren sicherlich drei bis vier Stunden, mit einem Zwischenstopp für das Mittagessen, an diesem Hochgebirgssee entlang, bevor wir den zweiten Pass in Angriff nehmen. Wir überholen auf den steilen Strassen einen Lastwagen, der dutzende von Passagieren auf der Ladefläche transportiert. Zum Glück bin ich kein Tibeter! In diesem Staub und der bitteren Kälte zu reisen, wäre wahrlich kein Vergnügen! Die Einfahrt in Lhasa ist genau so, wie es die chinesische Regierung proklamiert: eine breite, endlose Allee, die von kitschigen Strassen-laternen gesäumt wird, führt ins geschäftige Zentrum. Schon bald merke ich, dass diese Stadt total „verchinesischt“ worden ist. In unserem Hotel angekommen gibt es, wie könnte es anders sein, wieder irgendwelche Unstimmigkeiten wegen der Zimmerbelegung. Doch schlussendlich bekomme ich wieder eine so schöne Schlafgelegenheit, wie ich sie mir alleine auf dieser Reise wahrscheinlich nie leisten könnte. Heute ist es an der Zeit, meinen Flug von Samstag auf den nächsten Dienstag zu verschieben. Aber eine Überraschung mehr! Am Dienstag gibt es, weil keine Hochsaison mehr ist, keinen Flug nach Kathmandu. Ich kann ihn auch nicht um eine Woche verschieben, da dieser Flug schon ausgebucht ist (beziehungsweise: zu sein scheint…). So ist für mich diese Entscheidung einfach. Ich fliege in drei Tagen nach Kathmandu zurück.

Ich bleibe nicht lange im Hotel, möchte ich doch die letzten Sonnenstrahlen noch ausnützen, die Strassen ums Hotel und die Gegend vom Jokhang besichtigen, und mich dem Filmen hingeben. Auf diesem Entdeckungsspaziergang sehe ich eine riesige chinesische Stadt, die mit allem gespickt ist, was für mich exotisch ist. Überall Leute, Märkte und hunderte von Läden und Verkaufsständen. Da sind zum Beispiel diejenigen mit den Unmengen von Esswaren und Konsumartikeln, die überall feilgeboten werden. Oder diejenigen mit dem stinkenden Fleisch! Oder die mit den überfarbigen Kinderkleidern. Oder mit den undefinierbaren Esswaren. Oder, oder … Wiederum werden Erinnerungen an die Chinareise, die ich mit Nicole gemacht habe, wach gerufen. Am Abend kann ich meiner Frau dann sogar noch zum Geburtstag gratulieren, was sehr gut klappt. Wenn ich sie so am Telefon höre oder auch mit Etienne spreche (Noé war noch in der Schule), bekomme ich schon ein bisschen Heimweh. Je länger desto mehr freue ich mich, wieder bei meiner Familie zu sein. Doch zurzeit sind das Reisen und die Eindrücke so intensiv, dass ich total davon absorbiert bin und diese Zeit auch mit Hochgenuss (er-)lebe. Internet und ein spätes Abendessen runden den vollgepackten Tag dann ab. Noch eine Anmerkung zum Hotel: Da werden an der Rezeption für Gäste, die direkt auf die Höhe von 3’600 Meter über Meer, nach Lhasa einfliegen, Pillen gegen die Höhenkrankheit sowie Sauerstoff, in welcher Form auch immer, verkauft. Zum Glück brauche ich das nicht!

Das Drepunk-Kloster und erste Blicke auf den Potala

 Donnerstag, 13. November Nach einer geruhsamen Nacht mit viel Schlaf geht es erst nach halb zehn Uhr los. Die verbliebenen Touristen unserer Tour, ein Teil hat nur die Reise bis nach Lhasa mitgemacht, besteigen einen Bus, um den Potala zu besuchen. Doch als wir dort ankommen, informiert uns unser Guide, dass er die Tickets erst für den nächsten Tag bekommen hat. Wie so etwas bei einer organisierten Tour geschehen kann, ist mir ein weiteres Rätsel, was sicherlich nur mit dem chinesischen Behördentum erklärt werden kann. So ändern wir das Programm und fahren in das etwa acht Kilometer entfernte Drepunk-Kloster. Dieses stellt sich als wirklich interessant heraus! Wie das erste Kloster, das wir gesehen haben, befindet sich an einem Hang eine Ansammlung von weissen Häusern, wo die Mönche mehr oder weniger zurückgezogen leben. Dazwischen gibt es eine grosse Anzahl von Kapellen und Gebetsräumen, die von vielen Pilgern im Uhrzeigersinn besucht werden. Dort beten sie, spenden Geld oder füllen die riesigen Kerzen mit Wachs aus ihren kleinen Kerzen auf, die sie auf ihrem Rundgang mittragen. Ein besonderes Erlebnis spielt sich in einem Hinterhof ab, wo eine Handvoll Mönche ihr Mittagessen kochen. Von einer Terrasse aus schaue ich dem Treiben auf dem Gemeinschaftsplatz zu und filme die Szenen. Zuerst verweile ich scheu und weit weg vom Geschehen, doch später geselle ich mich mitten in die Schar der Klosterbrüder. Dort spricht mich ein junger Mönch an. Wir haben eine ganze Weile angeregt über unsere Länder, Sitten und Kulturen gesprochen, was höchst lehrreich war. Nach diesem kulturellen Zwischenstopp fahren wir in die Stadt zurück, um dort in einem Restaurant zu essen. Die Pause nütze ich aber aus, und fahre mit einem Rikscha zum Potala, um dort die ersten Bilder des imposanten Monuments zu filmen. Als Mittagessen gibt es dann eben nur zwei Nuss-Schokoriegel. Am Nachmittag besuchen wir ein weiteres Kloster, das ebenfalls nur wenig ausserhalb der Stadt liegt. Der „eyecatcher“ ist dort eine so genannte „Debatte“ der Mönche. In einem Hof versammeln sich dutzende von Jungmönchen und zelebrieren eine Art Frage- und Antwortspiel. Die Hälfte der rot gekleideten Mönchslehrlinge sitzen am Boden, die anderen stellen ihre Fragen und führen eine Art Kung-Fu-Ritual über den Köpfen ihrer Kollegen aus. Das hat einen aggressiven Anschein, wirkt aber insgesamt sehr harmonisch, da auch viel gelacht wird. Am Abend begebe ich mich nochmals auf den Platz vor dem Jokhang, wo ich sicherlich über hundert Personen durch den Sucher meiner Videokamera schauen lasse. Sie sind an meiner filmischen Tätigkeit sehr interessiert. Teilweise kann ich von den Gläubigern ein Portrait machen, was auch mir grosse Freude bereitet. Schon früh am Abend stille ich in einem nahe gelegenen tibetisch-chinesischen Restaurant meinen grossen Hunger. Auf der Karte steht zum Glück neben gebratenen Innereien und gedämpftem Schafsmagen auch „sweet and sour vegetable“ mit Reis, was ich genüsslich verspeise. Auch heute bin ich wieder fix und fertig vom Sightseeing und vor allem von den zahl-losen Eindrücken, die ich vom ganzen Tag verarbeiten muss (und darf).

Besuch im Potala

Freitag, 14. November Heute erwartet uns ein echter Höhepunkt! Wir gehen endlich in den Potala, dem Regierungssitz des Dalai Lama, der jedoch in Indien im Exil lebt. Darum ist dieser riesige Palast, der sich auf den Höhen des Hügels in der Mitte von Lhasa befindet, auch fast vollständig verlassen. Die Visite ist schon ein bisschen anstrengend, da eine Kapelle der anderen folgt, eine Statue geschichtsträchtiger als die andere ist und tausende von Buddhas in den verschiedenen Räumen bestaunt werden müssen. Teilweise ist es jedoch ein „déjà vu-Erlebnis“, da sich diese Klöster sehr ähnlich sind. Doch von aussen ist der Potala wirklich monumental und einmalig. Wir schiessen nochmals viele Fotos und nehmen zahllose Filmsequenzen auf. In den Klöstern wird immer und in jedem Raum Geld fürs Fotografieren und Filmen verlangt. Zudem sind die Lichtverhältnisse meist aber mehr als dürftig, so dass ich praktisch keine Innenaufnahmen mache. Nach dem Mittagessen in unserem Hotel gehe ich, einmal mehr, in die Gegend des Jokhang und steige dieses Mal auch auf dessen Dach. Von da aus habe ich einen genialen Ausblick auf die Stadt, den Potala und vor allem auf die Massen von Pilgern, die sich auf der Kora, der Umrundung des Gebäudes, befinden. Andere beten das Kloster an, indem sie pausenlos auf die Knie fallen und wieder aufstehen. Hier spüre ich wirklich das Tibet, das ich mir immer vorgestellt habe. Zudem entdecke ich in den umliegenden Märkten und Läden viele Einblicke ins lokale Leben und Gewerbe, das von unseren westlichen Gepflogenheiten doch enorm stark abweicht.

Samstag, 15. November Heute bin ich einmal mehr eine Stunde zu früh, nämlich schon vor vier Uhr, erwacht. Unser Bus legt nämlich „erst“ um sechs Uhr zum Flughafen, der 92 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt, los. Nach zwei mühsamen Stunden Fahrt kommen wir dort an. Doch da erwartet uns noch eine weitere Überraschung. Das Flughafengebäude ist immer noch geschlossen! Das habe ich so noch nie erlebt! Und so geht das Warten wieder los! Über drei Stunden verbringen wir hintereinander vor den geschlossenen Türen, dann dem geschlossenen Zoll-Schalter, dem geschlossenen Security-Check, den geschlossenen Gepäckkontrollen, dem geschlossenen Airporttaxschalter und der geschlossenen Check-in Abfertigung, bis wir schlussendlich um elf Uhr abfliegen können. Übrigens; der zweite Sicherheitscheck nach dem Check-in war offen!

Zurück aus Tibet in Kathmandu

Zurück in Kathmandu und im Garuda Hotel, bin ich nicht nur körperlich, sondern auch geistig sehr müde. Die letzten drei Wochen haben extrem an meinen Kräften gezehrt. Und jetzt nochmals fast zehn Tage in Nepal! Mit diesem Gedanken habe ich mich schon während der letzten paar Tage herumgeschlagen. Das kann ich einfach nicht mehr! Fast ziellos irre ich im Touristenghetto Thamel umher. Um mein Wohlbefinden ein wenig zu steigern, esse ich eine weitere Pizza vom Holzofen. Die ist einfach genial hier! Da habe ich mich schon lange drauf gefreut! Am Nachmittag mache ich wieder einmal einen Mittagsschlaf. Das frühe Aufstehen und die zwei Stunden Zeitdifferenz haben ihre Spuren hinterlassen. Danach hat sich die Idee, die schon länger in meinem Kopf umherschwirrt, endgültig durchgesetzt. Ich will so schnell wie möglich nach Bangkok und von dort an irgendeinen Strand ans Meer! Ich sehne mich nach dem Nichtstun und will definitiv wieder Energie für den Rest meines Sabbaticals tanken. Ich bin nämlich total ausgepumpt und fühle mich geistig extrem müde So gehe ich in „mein“ Reisebüro und bitte die Leute dort, meinen Flug mit der Royal Nepal auf übermorgen vor zu verschieben. Die Chefin versichert mir, dass dies kein Problem sei und dass ich mein geändertes Ticket morgen abholen könne. Das ist wie Musik in meinen Ohren! Beim Coiffeur, wo ich schon vor einer Woche war, lasse ich mir die Haare zurück stutzen und mir eine wohltuende Kopfmassage verpassen. Zu guter Letzt gönne ich mir nochmals ein italienisches Menü mit Salat und Spaghetti und schreibe den ganzen Abend in einem vollbesetzten Internetcafé an meinem Tagebuch herum. Jetzt muss ich meine Notizen immer auf diese umständliche Weise elektronisch hinterlegen. Äusserst mühsam, aber es geht. Wo ein Wille, ist auch ein Weg…

Sonntag, 16. November Eine Smogglocke hängt über der Hauptstadt von Nepal. Das sehe ich gut vom Swayambhu-Tempel, wo ich mich von einem Taxifahrer, welchen ich für den ganzen Tag engagiert habe, hin chauffieren lasse. Ich bin ja schon einmal hier gewesen, doch will ich heute die einzigartige Atmosphäre noch einmal erleben. Danach besuche ich den „schlafenden Vishnu“, ein hinduistisches Heiligtum in einem Vorort von Kathmandu. Weiter geht es nach Bhaktapur, der als wichtigster Ort ausserhalb der Hauptstadt im Kathmandu-Tal gilt. Dieses Sightseeing beschäftigt mich bis zum späten Nachmittag. Danach will ich in Kathmandu mein neues Flugticket nach Bangkok abholen. Doch welche Enttäuschung! Es hat nicht geklappt! So wie ich die schlecht Englisch sprechenden Agenten im Reisebüro verstanden habe, gibt es ein Problem. Ist ja eigentlich logisch, sonst hätte ich ja das Ticket bekommen! Ich muss dem auf den Grund gehen und fahre kurzerhand mit einem Angestellten per Rikscha zur Royal Nepal Airways. Dort trifft mich fast der Schlag! In den Büros dieser Gesellschaft warten hunderte von Einheimischen und Touristen, die um die Bürotische von zwei oder drei Mitarbeitern herumstehen und wild gestikulieren. Was genau los ist, habe ich nur häppchenweise und im Detail erst viel später erfahren. Zwei Flugzeuge dieser ohnehin nur sehr kleinen Fluggesellschaft scheinen defekt zu sein. So fallen diverse Flüge aus oder werden verschoben. Natürlich ist da auch mein Flug von morgen dabei. Mir wird dieses Chaos zu bunt und ich fahre in die Stadt zurück. Den Angestellten lasse ich noch ein bisschen anstehen. Darum heisst er wohl auch Angestellter! Am Abend gehe ich dann nochmals ins Reisebüro. Dort muss ich aber erfahren, dass es mit dem Flug nicht einmal für den Dienstag klappen wird. Das Office der Fluggesellschaft hat nämlich einfach geschlossen, ohne irgendwelche definitiven An-gaben zu den Flügen zu machen. Und ich sehne mich doch so sehr nach Ruhe, Sonne und Strand! Ich bin irgendwie völlig gesättigt von Reiseimpressionen und habe die Nase voll von all den Leuten, die mich immer und immer wieder auf der Strasse anquatschen. Doch das Unheil findet in den kommenden Tagen kein Ende. Ich nehme ja jetzt mit dem integrierten Diktafon des Palms viele Texte auf, um sie später in die Mail zu schreiben. Vor dem Abendessen habe ich nochmals einiges aufgenommen, bis mein Organiser auf einmal aus unerfindlichen Gründen blockiert ist. Ich kann einfach nichts mehr machen. So versuche ich als letzten Ausweg, die Batterien total zu entleeren und hoffte, dass ich nach einer kompletten Neuladung des Akkus den Palm wieder benutzen kann. Das Problem ist aber so gravierend, dass mein Gerät wieder, wie vor einer Woche, selbstständig einen Setup ausführt. Dieses Mal habe ich drei Tage des Tagebuches verloren, die ich noch auf meine E-Mail übertragen wollte. Der Wurm ist wirklich drin. Zu allem Überfluss merke ich heute noch, dass ich die Mütze meines Arbeitgebers „Firth“ verloren habe, die ich doch so gerne getragen habe. Wurde sie mir von den Kindern in Lhatse beim Filmen aus meinem kleinen Rucksack als Souvenir gestohlen oder habe ich sie einfach irgendwo vergessen oder verloren?

Montag, 17. November Je mehr ich darüber nachdenke, desto lieber möchte ich jetzt irgendwo am Strand liegen, ausspannen, relaxen und Kraft für neue Abenteuer sammeln. Ich kann die Anmache der Möchtegern-Verkäufer nicht mehr ertragen. Die Typen, die mit ihren komischen Geigen rumlaufen und unaufhörlich darauf spielen, die anderen, die mit leiser Stimme, so im Vertrauen eben, Hasch verkaufen oder die bettelnden Frauen mit ihren verwahrlosten Kindern, die wie angeklebt an ihnen hängen! Hier ist es wenigstens nicht so penetrant mit den Bettlern wie in Tibet, wo dir alle zehn Meter jemand „Hello money“ nachruft und mit der Hand auf und ab wippt. Dafür gehen mir das ewige Gehupe der Autos und das Glockengebimmel der Rikscha Fahrer wirklich langsam auf den Keks. Ich will weg!
Den ganzen Tag verbringe ich zwischen Internetcafés und Reisebüro und versuche einen Flug zu organisieren. Mit Kusum, dem Girl vom Reisebüro, trinke ich auf einer Terrasse einen Kaffee und plaudere ein bisschen. Aber deshalb kriege ich auch keinen Flug. Es ist wie verhext. Jetzt bin ich doch schon über dreissig Mal geflogen und immer gab es noch freie Plätze. Nur jetzt, wo ich wirklich weiterreisen möchte, scheint es weniger freie Flugzeugsitze als katholische Päpste auf der Welt zu geben. Schlussendlich werde ich wieder auf den nächsten Tag vertröstet. Denn da soll es Möglichkeiten bei Thai Airways geben. Während des ziellosen Hin- und Herlaufens durch die Strassen des Thamelquartiers treffe ich dann noch Sebastian und Conny, die ich am Anfang meines Trekks im Himalaya kennen gelernt habe. Wir verabreden uns nach dem Abendessen und verbringen zusammen noch einen lustigen Abend.

Die Organisation von der Weiterreise ist so kompliziert!

Dienstag, 18. November Als Erstes bin ich wieder ins Reiseoffice gegangen, um zu sehen, ob mein Flug von heute bestätigt wurde. Das wäre doch wirklich allzu schön gewesen. Nein, es wird mir nur vorgeschlagen, zusammen mit einem Mitarbeiter ins Thai Airways-Hauptbüro zu gehen und die Sache vor Ort zu regeln. Da bin ich also hin getrottet und von irgendeinem Manager aufgemuntert worden, dass es für mich als Alleinreisender einfach wäre, auf einen Nachmittagsflug zu kommen. Ich solle nur an den Flughafen gehen, dort ein Ticket kaufen und dann als Stand-by-Passagier fliegen. Die Chancen seinen gross, dass ich heute nach Thailand komme. Das habe ich so befolgt. Im Hotel checke ich aus und fahre also an den Flughafen. Doch nachdem ich dann inmitten hunderter von Passagieren zwei Stunden angestanden bin (zum Glück habe ich ein lustiges Buch zum Lesen sowie Schokolade und ein Brötchen als Mittagessen dabei), überkommt mich doch ein komisches Gefühl, ob das denn so einfach klappen würde. Am Schluss stellt sich dann folgerichtig heraus, dass etwa dreissig Leute dasselbe vorhaben wie ich: alle wollen, ohne bestätigte Sitzreservation, ebenfalls nach Bangkok fliegen. Von diesen Stand-by-Passagieren bekommen nur etwa drei oder vier noch einen Boardingpass. Und ich stehe wie bestellt und nicht abgeholt dort und muss wieder zurück in die Stadt. Jetzt benötige ich langsam alle Geduld, die ich aufbringen kann, um mich still zu halten. Doch trotz allem guten Zureden bin ich allmählich an einem moralischen Tiefpunkt angekommen. Ich schaffe es aber immer noch recht gut, ruhig zu bleiben und meine Nerven im Zaum zu halten. Ich bin auch mit den aufsässigen Strassenverkäufern, den Taxifahrern, Bettlern und Reisebüroangestellten den Umständen entsprechend und wie es sich gehört, recht freundlich. So glaube ich wenigstens. Ich rede mir ein, dass dies eben eine dieser Lebensschulen sein muss, die ich in dieser Zeit auch bewusst gesucht habe. Aber bitte – lasst mich endlich nach Bangkok fliegen! Zurück in Thamel gehe ich schnurstracks in mein Reisebüro und klage Kusum, dem netten Girl, mein Leid. Da nimmt sie das Ticket der Royal Nepal Airways und verschwindet. Am späten Nachmittag, als ich sie wieder sehe, ist die Überraschung perfekt. Die Gesellschaft ist wieder zum Leben erwacht und holt einen ihrer Flüge mitten in der Nacht, um drei Uhr, nach. Und ich werde dabei sein! Das heisst für mich, dass ich wieder ins Hotel zurück und meine Sachen aus dem Zimmer holen kann, da ich diese Nacht ja besseres zu tun haben werde, als einfach zu schlafen. Ich bin bereit, um in Kürze zum Flughafen zu gehen! Doch es sollte noch besser kommen. Nach dem mexikanischen Abend-essen gehe ich auf ein Dachrestaurant, um die Zeit bei Livemusik verstreichen zu lassen. Da fällt mir am Nachbarstisch ein Gesicht auf, das mir bekannt vorkommt. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, woher ich das Girl kenne. Da habe ich sie einfach angesprochen und gefragt. Alexandra hat sich dann relativ schnell an mich erinnert… (was soll das wohl heissen?) Spass beiseite! Wir haben uns vor über drei Monaten (siehe Abend des 58. Tages) in Indonesien in einem Restaurant kennen gelernt. Zufälle gibt es! Sie ist heute mit drei Nepalesen hier. Einer davon ist für einheimische Verhältnisse stink-reich. Denn er hat mir von seiner einmonatigen Reise in die Schweiz, von Zürich und Arosa, erzählt. Später hat er uns alle zu Drinks in eine Nobeldisco eingeladen. Jetzt lerne ich am letzten Abend meines Abenteuers in Nepal noch eine ganz andere Seite dieses Landes kennen. Das junge, amerikanisch angehauchte, mondäne Nepal! Fast würde ich „Jetset“ sagen, wenn der Gegensatz zu dem, was ich die letzten fünf Wochen erlebt habe, nicht viel zu gross wäre. Alle Besucher hier sind richtig discomässig angezogen. Da sehe ich mit meinen schwarzen Socken, Heiland Sandalen und den Hosen mit den vielen Taschen reichlich komisch aus. Das macht mir aber überhaupt nichts aus. Ich tanze wie im Traum zu Eminem, UB 40 und Shakira und freue mich grenzenlos über den phänomenalen Augenblick! Gegen ein Uhr verlasse ich dann auf wackligen Beinen das Lokal. Ich bin jedoch, trotz der vielen Drinks von der Bar, noch im Besitz der nötigen Kräfte, um mein Gepäck im Hotel abzuholen, und den Taxitarif noch um fast fünfzig Rappen herunterzuhandeln. Gelernt ist gelernt! Das letzte Mal fahre ich nun mit einem nepalesischen Taxi. Wegen der obligatorischen Gurtpflicht wird, wie immer, nur das lose Band ohne Schnalle um den Bauch gelegt. Die Schnalle ist wie immer defekt! Wir brettern wie auf Schienen durch die menschenleeren Strassen. Die einzigen Gestalten, die ich um diese Zeit noch erblicke, sind zwei Kühe, welche sich von den riesigen Abfallbergen am Strassenrand genüsslich verpflegen. Der Rest ist dann nur noch Formsache. Einchecken, Sicherheitskontrolle, Zollformalitäten und auf geht es nach Bangkok.

Hier geht es zurück zum zweiten Mal in Thailand auf dieser Sabbatical-Reise

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Die Sabbatical-Reise

Es war immer ein Wunsch von mir, ein Sabbatical zu machen. Natürlich war das Sabbatical dann eine lange Reise! Da es nicht geklappt hat, dass wir als Familie die ganze Zeit zusammen reisen konnten, haben wir die Sommerferien der Kinder dazu genutzt, eine Familienreise zu machen. Ich bin danach 5 weitere Monate alleine durch Ozeanien und Asien weitergereist!

 

Weitere Etappen der Sabbatical-Reise: