2003 (12) Myanmar

2003 Myanmar scaled
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In Myanmar komme ich in Yangon an (ehemaliger Name: Rangon)

Freitag, 5. Dezember, abends Nach dem kurzen Flug landen wir in Yangon. Dort haben die ersten, positiven Überraschungen nicht lange auf sich warten lassen. Entgegen allen gut gemeinten Büchertipps, Traveller Infos und alten Erinnerungen an die extrem mühsamen Einreiseprozeduren, geht es hier wie am Schnürchen. An vielen Immigrationsschaltern sitzen jeweils drei Beamtinnen, die die Visaformalitäten und die diversen Stempel innerhalb weniger Minuten in den Pass drücken. Der Schalter, wo früher die von allen Touristen gehassten FEC (Foreign Exchange Certificates) eine Art Monopoly-Geld das am Flughafen gegen harte Währung bezogen werden musste ausgegeben wurden, ist geschlossen. Erst später erfahre ich, dass diese Spezialwährung vor etwa einem Monat abgeschafft wurde. Einen kleinen Engpass gibt es dann jedoch beim Gepäckausgabeband. Da stapeln sich viele Luxusgüter wie Fernsehapparate, PCs, Flachbildschirme und weitere westliche Errungenschaften, die alle noch vor meinem Rucksack auf dem Roll-band auftauchen. Als mein Gepäck dann endlich auch noch zum Vorschein kommt, haben die diversen Zollbeamten keine grosse Lust, genauere Gepäckkontrollen durchzuführen. So bin ich schon bald am Schalter, um eine Fahrgelegenheit in die Stadt zu buchen. Vor mir ist gerade ein Neuseeländer. Wir teilen zusammen ein Taxi, und später in einem Hotel auch das Zimmer. Das sehr zuvorkommende Hotelpersonal und das gute Abendessen haben meinen ersten Eindruck von Myanmar bestätigt: Das ist ein Land, das sich von den Fesseln der Politik los-lösen und, wenigstens im Tourismusbereich, offen und herzlich sein will.

Samstag, 6. Dezember Mit Gordon, dem Neuseeländer in meinem Alter (was hier in Asien erwähnenswert ist, da normalerweise alle Traveller jünger als ich sind), verbringe ich den ganzen Vormittag in der Stadt. Zuerst suchen wir eine Reiseagentur, die mir für den Nachmittag einen Flug nach Heho, am Inle See, buchen kann. Danach gehen wir in einen Markt, um Kyat, das Myanmargeld, auf dem Schwarzmarkt zu tauschen. Das klingt recht geheimnisvoll, ist aber nichts Besonderes und sehr einfach. Man geht zum Beispiel, wie wir, in einen Kleidermarkt. Da wird man sofort von Leuten angesprochen, die ihren Verkaufsladen haben und sich, vor allem US-Dollars, als krisensichere Devisen besorgen. Für sechzig Dollar bekomme ich also einen Bündel Geldscheine, welcher fast drei Zentimeter dick ist. Das ist so viel, dass ich mein Portemonnaie nicht mehr richtig schliessen kann! Dann kaufen wir noch je einen Longhy, das traditionelle rockähnliche Beinkleid. Das kann in diesem Land immer nützlich sein und ist, als Kleidungsstück für Männer, topmodern! Am Nachmittag startet dann schon mein Flug vom Inlandflughafen aus. Das Gebäude erinnert mich stark an jenes von Kathmandu. Auf der, zugegebenermassen elektronischen Anzeigetafel, sind aber immer noch die allerersten Flüge vom Morgen sichtbar. Das nützt wirklich viel! Dutzende von Einheimischen, welche sicherlich das erste Mal fliegen, scharen sich um einen Ausgang. Wenn dann irgendein Offizieller etwas ruft, verstehe ich natürlich überhaupt nichts. Mein Flug ist aber recht pünktlich und wird von einem Mitarbeiter mit einem Schild, etwa so, wie bei den teilnehmenden Mannschaften bei der Eröffnungsfeier an olympischen Spielen, angekündigt. Das Flugzeug macht in der Kleinstadt Heho eine Zwischenlandung. Da steigen jedoch gerade mal fünf Leute mit mir zusammen aus. So fühle ich mich als einziger ausländischer Tourist auch entsprechend einsam. Mit dem Taxi geht es nach Nyaungshwe am Inle Lake und dort in ein schönes Hotel. Doch auch hier bin ich der einzige Gast. Am Abend, als ich ein Boot für den nächsten Tag reserviere, wird mir berichtet, dass es diese Saison noch nicht so richtig laufen will. Es fehlen immer noch die Touristen. Es gibt nur einige wenige Tour Gruppen, die aber abseits der Stadt in Luxusressorts am See wohnen. So verlieren sich die paar Individualtouristen in den vielen Unterkünften der Stadt und bringen den Betrieben wie Hotels, Restaurants und Reiseagenturen auch nicht das ganz grosse Geld.

Am Inle Lake

Sonntag, 7. Dezember Heute habe ich den ganzen Tag den Inle Lake und dessen Umgebung bereist. Ich bin mit einem der Boote, die den See meistens mit Lebensmitteln oder Passagieren durchpflügen, an die verschiedenen Orte gefahren. Der „Kapitän“ ist sehr, ich möchte fast sagen, einfühlsam, da er nach kurzer Zeit verstanden hat, wann, wie, wo und wie lange ich bleiben und filmen möchte. Dies ist vor allem am Abend bei der Heimfahrt von Vorteil, weil er mich für das perfekte Sonnenuntergangsfoto vor einen Fischer navigieren kann. Das wird sicherlich eine ganz stimmungsvolle Szene in meinem Film ergeben. Du kannst dir das so vorstellen: Die rote Sonne steht knapp über den Bergen und davor, auf dem spiegelglatten See, siehst du die Silhouette eines Fischers, der in seiner einzigartigen Beinrudertechnik über den flachen See gleitet. Als passionierter Amateurfilmer schöner Sonnenuntergänge bin ich bei diesem Anblick so begeistert wie ein Kind unter dem leuchtenden Weihnachtsbaum. Der heutige Tagesplan ist wieder extrem gefüllt gewesen und hat mir viel von dieser Gegend offenbart. Wir haben mit dem Besuch eines Marktes begonnen. Da ist mir aufgefallen, dass es doch einige Touristen in dieser Gegend gibt. Diese sind fast ausschliesslich älteren Semesters und logieren, wie erwähnt, in den gediegenen und dementsprechend auch teuren Hotelressorts. Sie sind auch gefundene Opfer der Souvenierverkäufer. Ich musste schon ein bisschen schmunzeln, als ich eine deutsche Frau, die des Englischen wahrscheinlich nicht mächtig ist, mit ihrem deutschen Akzent den Preis erfragen höre: „Quanto costa?“, fragt sie die Burmesin… Ja, die Ferien in Italien sind wahrscheinlich noch nicht so lange her! Im Laufe des Tages steige ich noch auf einen Hügel um ein Kloster zu besichtigen. Ganz in der Nähe werden mir in einem abgelegenen Dorf, für ein kleines monetäres Geschenk versteht sich, zwei Langhalsfrauen „vorgeführt“. Diese Tradition wird normalerweise in einem Gebiet in der Nähe der thailändischen Grenze gepflegt. Schon als junge Mädchen beginnen diese Frauen, diverse Messingringe um den Hals zu tragen, die ihn während vielen Jahren zu einem wahren Giraffenhals strecken. Doch am meisten macht mir wieder einmal Freude, mich hinter die normalen Touristenattraktionen zu begeben und dort, weit weg von den, salopp gesagt, „Neckermanntouristen“, das tägliche Leben der Einwohner des Inle Lakes zu erleben.

Montag, 8. Dezember Schon als ich hier angekommen bin, hat mir die ruhige, gemächliche Stimmung dieser Gegend so gut gefallen, dass ich mich entschlossen habe, länger als eigentlich vorgesehen an diesem Ort zu bleiben. Meinen „Zusatztag“ beginne ich mit Herumschlendern in der friedlichen Stadt. Eigentlich handelt es sich viel mehr um ein Dorf, wo alles viel langsamer als an anderen Plätzen vor sich geht. Hier ist vor allem vom Verkehr wenig zu spüren. Ausser ein paar abgasstarken Lastwagen, einigen alten, rostigen Traktoren und vereinzelten Mofas gibt es fast nichts Motorisiertes hier. Velos und Pferdekutschen dominieren das Strassenbild, was meine morgendliche Entdeckungsreise natürlich umso interessanter macht. Am Nachmittag fahre ich nochmals mit dem selben Bootsführer auf den See hinaus und lasse mir andre Dörfer, ein schmuckes Kloster und eine Schirmmanufaktur zeigen. Langsam bekomme ich schon ein bisschen Heimweh. Umso mehr, als es hier in Myanmar scheinbar keine Internetcafés gibt. So kann ich die zur Gewohnheit gewordenen News aus dem Web nicht abrufen und meine Mails nicht lesen. Es dauert ja nur noch knapp drei Wochen, bis ich meine Lieben wieder sehe. Ich wage gar nicht daran zu denken, wie es zu Hause wieder sein wird. In der letzten Zeit stelle ich mir alles so rosa vor. Ich sehe meine Kinder und Nicole, wie wir zusammen nur die schönsten Dinge erleben und sorglos und glücklich sind. Ich hoffe nur, dass das auch in der Realität so sein wird!

Es geht mit dem Flieger nach Mandalay

Dienstag, 9. Dezember Und wieder habe ich einen lockeren Tagesanfang. Ich nehme mir viel Zeit, um durch die Kleinstadt zu schlendern und dort ein bisschen zu filmen, nachdem ich die zwei netten und zuvorkommenden Girls im Hotel portraitiert habe. Danach fahre ich mit einem Taxi, mit Zwischenstopp in einem fotogenen Kloster, zum Flughafen in Heho. Ich bin immer noch von meinem späten Erscheinen am Flughafen in Kendari traumatisiert (siehe 42. Tag). Darum bin ich wieder einmal viel zu früh unterwegs. Das spielt aber keine Rolle. Für diese Fälle habe ich ja mein Buch, an dem ich fleissig weiterschreiben kann. Der pünktliche Flug (ich weiss, ich weiss, wenn ein Flieger pünktlich ist, erwähne ich das jedes Mal. Aber tief in mir drin bin eben ein echter Schweizer!) endet im über proportionierten, hypermodernen internationalen Flughafen von Mandalay. Da bin ich echt überrascht, dass ich nochmals etwa 4 Millimeter Geld bezahlen muss, um innerhalb einer Stunde mit dem Taxi in die Stadt zu fahren. Ich habe dann aber noch den ganzen Nachmittag für eine Erkundungstour zur Verfügung. Es ist schon gut, dass ich viel fliege. So kriege ich viele Stunden und Tage „geschenkt“ und kann diese an interessanten Orten optimal nutzen. Das heutige Sightseeing spielt sich wie folgt ab: Ich möchte eigentlich ein bisschen zu Fuss in die Stadt gehen, werde aber von einem Rikscha-Fahrer, der vor dem Hotel gewartet hat, begrüsst, vollgequatscht, eingefangen und nicht mehr losgelassen. Schluss-endlich habe ich mich in den Hochsitz, der an der Seite seines Velos befestigt ist, gequetscht und mich durch die Stadt chauffieren lassen. Auch das ist wieder eine gute Entscheidung. Denn Hassan hat mir als erste Attraktion dieser Stadt einen der sehr seltenen Orte mit Internetanschluss gezeigt! Dort wird der erste Versuch, mein E-Mail-Account zu öffnen, verweigert. Eine Angestellte hat dann den staatlichen Sicherheitscode geknackt, damit ich einen Zugang zu meinen Mails bekomme. So läuft das eben: die Militärdiktatur lässt grüssen. Danach habe ich mich noch in einen Tempel und zum Mandalay Hill fahren lassen, wo ich barfuss die 1’700 Treppenstufen erklimme und später einen perfekten Sonnenuntergang über dem Ayeyarwady River erlebe. Heute quälen mich wieder trübe Zukunftsgedanken. Ich frage mich wirklich, ob ich überhaupt noch arbeiten kann. Nein, arbeiten werde ich sicher noch können. Aber ich habe plötzlich Angst, dass ich alles, was ich die letzten, fast drei Jahren bei der Firma Firth lernte, vergessen habe. Wenn ich versuche mich an technische oder kundenspezifische Daten zu erinnern, fällt mir das nämlich sehr schwer. Wenn ich dann noch an das neue EDV-System denke, wird es mir geradezu schwarz vor den Augen. Ich habe das Gefühl, dass ich enorm viel vergessen habe. Und nun kommen auch noch Zweifel auf, ob mein Sabbatical für die Firma wirklich gut war. Ich hoffe einfach, dass sich meine Zweifel nicht bestätigen und dass ich, wenn ich wieder zurück bin, die Sachen schnell wieder präsent habe. Ich bin jedoch schon heute überzeugt, dass ich, einmal zurück in der Arbeit, vor Energie nur so sprühen werde.

Mittwoch, 10. Dezember Eine Individualreise zu machen ist natürlich viel aufwändiger und birgt viel mehr Unbekanntes als eine geführte, durchorganisierte Pauschal-reise. Als Basis-Hilfsmittel habe ich jedoch meistens Bücher, meine „Reiseführer“ dabei. In einem steht: „Gut informiert zu sein, spart Zeit und Geld, Wer mehr weiss, erlebt auch mehr, und gerade das macht beim Selberreisen Freude“. Und weiter: „Wer selber reist, braucht Zeit, Geduld oder einen guten Reiseführer. Am besten beides“. Ja, mit den Reiseführern ist es so eine Sache. Es gibt Länder, wie zum Beispiel Myanmar, wo die Dinge sich so schnell ändern, dass kein Reiseführer Schritt halten kann. So bin ich einmal mehr froh, dass Hassan, „mein“ Rikscha-Fahrer und wandelnder Reiseführer, mich schon am Morgen zur Bootsanlegestelle bringt, wo ich mit dem einzigen Boot um neun Uhr flussaufwärts nach Mingun fahren kann. In meinem Buch steht nämlich, dass es etwa jede halbe Stunde ein Boot gibt. So wäre ich eigentlich erst gegen Mittag an den Ayeyarwady-Fluss gegangen und hätte ziemlich schlecht ausgesehen, da das einzige Boot des Tages, wie erwähnt, schon um neun Uhr ablegt. In Mingun konnten wir etwa drei Stunden interessantes Sightseeing erleben bis das Boot wieder nach Mandalay zurückgefahren ist. Den Hsinbbyume Paya (Paya = „etwas“ Heiliges) darfst du, wie alle heiligen Orte in Myanmar, nur barfuss betreten. Dabei bin ich auf einem Naturpfad auf einen stacheligen Zweig getreten. Das wird für mich noch Folgen haben! Am Abend muss ich mir im Hotel nämlich erst einen Stachel aus dem Fuss entfernen. Leider folgt noch eine Fortsetzung! Am Nachmittag hat mich Hassan dann nochmals zu den zwei Stupas, die ich am gestrigen Tag schon besucht habe, gebracht. Ich wollte bei idealer natürlicher Beleuchtung nochmals einige Szenen filmen.  In einem chinesischen Restaurant welches etwa zehn Gehminuten vom Hotel liegt, geniesse ich schon das zweite Mal das Abendessen. Ich schaue es schon bald als einen Teil meiner „Lebensschule“ an, von den Leuten angestarrt zu werden. Denn an diesen Ort verirren sich sicherlich nicht viele Touristen! Fast alle der dreissig kleinen Tische sind voll mit Menschen, meistens Männer. Und diese sind fast ausnahmslos randvoll mit Whisky, den sie ins Restaurant mitgebracht haben. Und ich sitze, ausgestellt wie eine Statue im Museum, dazwischen und mache mich über meinen Teller Reis und die leckeren, gegrillten Fleischspiesschen her. Das ist auch für mich lustig, obwohl das Bestellen ohne Speisekarte sich nicht so einfach gestaltet. Weiter habe ich das Gefühl, dass mir die Zeit nun doch durch die Finger rinnt. Nur noch vierzehn Tage bis zum Ende meiner Reise! Zudem werde ich fast verrückt. Es gibt so viele Eindrücke, die ich niederschreiben möchte. Zum Beispiel die Rikscha-Fahrer, die mich wegen des deutschsprachigen Reisebuchs ansprechen, das ich in den Händen halte und die sagen, dass sie Bayern München und Oliver Kahn lieben. Kinder, die uns beim Überholen mit dem Velo grüssen und ihre Hände zu strecken. Sie rufen mir zurück, dass ich schön sei… (schon wieder… ehrlich, der Fahrer hat mir das so übersetzt…). Ein Mönch, der mir sagt, dass in der Schweiz gute Uhren produziert werden. Ein zehnjähriger, selbst ernannter Tempelführer, der die Schweizer Schokolade und die guten Schweizer Messer kennt. Eine Frau, die ihre Souvenirs verkaufen möchte, mir stattdessen ihre Lebensgeschichte erzählt. Sie meint auch, dass es in Myanmar gut und wichtig sei, Söhne zu haben. Als ich ihr die Passfotos von Noé und Etienne zeige, ist sie entzückt. Später erstehe ich Briefmarken für meine Sprösslinge. Auch da zeige ich die Fotos dem zwölfjährigen Mädchen, das mir nach hartem Feilschen um den Preis schlussendlich die Marken verkauft. Sie sagt, dass Noé wie sein Vater aussieht, was übrigens alle Leute richtig beurteilen. Als ich das Passfoto von Nicole zeige, ist die mittlerweile zu einem dutzend Leuten angewachsene Menschentraube um mich herum hell begeistert! Und so geht es immer weiter. In diesem Land kannst du extrem intensive Begegnungen haben, die leider nie alle in einem solchen Reisebericht ihren Platz finden können!

Donnerstag, 11. Dezember Damit ich die Umgebung von Mandalay leichter erforschen kann, hat mir Hassan ein Taxi organisiert. Wie immer ist der Chauffeur sein Bruder oder Cousin oder so. Leider verstehe ich das Englisch des Typen nicht immer optimal. Eigentlich verstehe ich überhaupt nichts von dem, was er mir sagen will! Doch trotz den Verständigungsproblemen, die übrigens immer wieder entstehen, können wir ein schönes Sightseeingprogramm durchziehen. Wir sind auf einem Aussichtsberg gewesen und haben später in einem Kloster der Essenszeremonie von hunderten von Mönchen beigewohnt. In einem Dorf verfolgen wir einen religiösen Umzug und immer und überall gibt es einzigartige Dinge zu bestaunen, die einem solchen Entdeckungstag jeweils das Pünktchen auf das „i“ setzen. Während dieser morgendlichen Entdeckungsreise habe ich gemerkt, dass in meinem Fuss noch ein weiterer Stachel steckt. Ich kann plötzlich nur noch mit Schmerzen herumhinken. Da habe ich die glorreiche Idee, dass ich in einem Laden nach einer Nadel fragen könnte, um mich so vom Stachel zu befreien. Gesagt, getan. Die Leute haben schön komisch geschaut, als ich zuerst mit verschiedenen Gesten nach einer Nadel gefragt, und nachher eine kleine Operation durchgeführt habe. Zum Glück ist nach kurzer Zeit die Sache vorüber und ich kann wieder normal gehen. Zum Abschluss des Tages lasse ich mich an den Fluss fahren, wo ein idyllischer Sonnenuntergang bewundert werden kann. Von der Terrasse eines Restaurants, wo die Leute mit gekühlten Getränken und schönen Sitzgelegenheiten verwöhnt werden, habe ich mich aber sofort verabschiedet und mich hinunter in das Bambusdorf, das sich zwischen Fluss und Hauptstrasse befindet, gewagt. Das ist wieder ein starkes Erlebnis. Denn viel mehr als eine mit Bambusdach geschützte Fläche haben die Familien hier nicht zum Wohnen. Ich komme mir einmal mehr recht komisch und fremd, inmitten dieser freundlichen und immer lachenden Menschen, vor. Ich habe mich bald ans Fluss-ufer gesetzt und kann so viel vom Leben mitbekommen, welches die Bewohner in diesem Slum führen. Am Abend, zurück in „meinem Leben“, im angenehmen Hotel, fällt mir dann auf, dass das Stromnetz wieder zusammengebrochen ist. Dies passiert hier in Myanmar täglich ein paar Mal. Doch die Touristen-Hotels haben alle ein Notstromaggregat. Was für ein Gegensatz zum Nachmittag!

Freitag, 12. Dezember Mitten in der Nacht hat mich ein schrecklicher Gedanke geweckt und bis zum Morgen nicht mehr losgelassen! Was habe ich heute gemacht? Ich habe da doch von wildfremden Menschen eine Nadel genommen und mir damit ins Fleisch gestochen. Was ist, wenn die Nadel nicht sauber war? Was ist, wenn sich jemand mit dieser Nadel beim Nähen gestochen hat? Und, und, und…! Nicht auszudenken, was ist, wenn ich mich da mit irgendeinem Virus angesteckt habe! Der Gedanke lässt mich nicht mehr los! Ich drehe mich schwitzend im Bett herum und mahle mir die schlimmsten Szenarien aus!

Weiter nach Bagan und Gedanken an meine Reise von 1987

Das Frühstück mag ich nicht besonders. Ich bin völlig gerädert. Ich habe fast nicht geschlafen und bin voller Horrorgedanken! Zudem bemerke ich jetzt auch, zum ersten Mal eigentlich, einen der grossen Nachteile des Alleine Reisens. Du kannst dich mit niemandem aus-tauschen. Du kannst mit niemandem reden. Niemand beruhigt dich oder gibt dir einen Rat. Aber ich wollte es ja so. Da muss ich durch! Das heutige Etappenziel ist Bagan. Hassan hat mich überredet, mit seinem Freund (oder Bruder oder Cousin?) per Taxi zu fahren. Schlussendlich habe ich dieser Fahrt zugestimmt, obwohl sie teurer als ein Flug ist. Ich erwarte, dass ich einiges von der Landschaft mitbekomme. Dazu will ich ein Kloster auf dem Mount Popa besuchen und zudem früher als mit dem einzigen Nachmittagsflug in Bagan ankommen. Alle diese Wünsche haben sich dann auch erfüllt. Es ist eine gute Entscheidung gewesen, diese Tagesreise zu unternehmen. Nach der interessanten Fahrt sind wir am Nachmittag in Bagan eingetroffen. Das erste Hotel auf meiner Wunschliste ist jedoch besetzt. Das ist mir auf dieser Reise bisher selten passiert (hat aber sicherlich etwas mit dem speziellen Ort zu tun! Siehe nächster Abschnitt!), dass das Hotel meiner Wahl bis auf das letzte Bett ausgebucht ist. Doch das Zweite ist mehr als gut und genau so, wie ich mir das vorgestellt habe. Da es kurz vor Sonnenuntergang ist, lasse ich mich vom Taxi zu einem der beiden Tempel, die man noch besteigen darf, fahren, um die Aussicht auf diese faszinierende Gegend bei einem tiefroten Sonnenuntergang zu geniessen. Ich war ja schon früher einmal mit einem Freund an diesem mystischen Ort mit den über 1’000 Monumenten. Da habe ich ein Tagebuch geschrieben, das immer noch zu Hause in meinem Bücherregal steht. Am 9. April 1987, dem Tag der Fahrt nach Bagan, hatte ich Folgendes notiert: „Dieser Tag sollte zum bisher mühsamsten werden. Zwischen zwei und sieben Uhr erwachte ich etwa sieben bis acht Mal und musste auf die Toilette, da ich (wie Willy auch), Durchfall hatte. So habe ich fast nicht und wenn überhaupt, nur sehr schlecht geschlafen. Bioflorin half auch nicht viel. Aber nicht nur uns ging es schlecht. Auch andere Touristen klagten ihr Leid und liessen das Frühstück bleiben. Um zwölf Uhr mussten wir in der Stadt sein, um mit dem kleinen Pick-up-Bus nach Bagan zu fahren. Diese Busfahrt, zusammen mit achzehn anderen Passagieren, war nicht sehr lustig. Siebeneinhalb Stunden mit drei fünfminütigen Pausen, ohne sich bewegen zu können, immer den Durchfall zurückhaltend, waren ziemlich hart. In Bagan suchten wir über dreissig Minuten ein Hotel, da unser Guesthouse ausgebucht war und wir uns nicht so rasch für eine passende Unterkunft entschliessen konnten. Das Beste von diesem Tag war die kalte Dusche zum Abschluss. Essen konnte ich leider, ausser ein wenig Suppe, immer noch nichts!“ Doch nun wieder zurück ins Jahr 2003. Heute habe ich im Hotel wieder einen Fernseher. Das ist schon in Kambodscha und jetzt in Myanmar fast immer der Fall gewesen. An den Programmen ist erwähnenswert, dass neben BBC auch meistens TV5Asien, das ist ein französischer Sender, zu empfangen ist. Auf diesem Programm zeigen sie am Morgen jeweils das „Téléjournal“ des Welschschweizer Fernsehens mit nur einem halben Tag Verspätung. So bin ich gut informiert, was in diesen Tagen in der Schweiz so abläuft. Das schürt aber das Heimweh nur noch mehr. Ich freue mich auf zu Hause!

Samstag, 13. Dezember Damit ich heute auch den Sonnenaufgang miterleben kann, habe ich schon vor sechs Uhr ein Fahrrad gemietet und mich nach herausragenden Aussichtspunkten umgeschaut. An denen mangelt es hier wirklich nicht! Überall hätte ich mein Stativ aufbauen können. Es gibt hier fast keinen Ort, wo du nicht irgendeine spezielle Sicht auf diese faszinierenden Tempel geniessen kannst. Nach drei Stunden herumradeln und diversen Schnappschüssen bin ich dann reif für ein ausgedehntes Frühstück. Danach lasse ich mich am hoteleigenen Swimmingpool ein bisschen von der wärmenden Sonne verwöhnen und gehe erst am Nachmittag wieder mit meinem Zweirad auf die Pirsch nach neuen Ausblicken. Den Höhepunkt des Tages bildet natürlich ein weiterer Sonnenuntergang von der oberen Plattform des zweiten Tempels, den man noch besteigen darf. Die 360°-Rundsicht auf die unzähligen Tempel der Gegend ist einfach fabelhaft und wohl das schönste Panorama von Myanmar. Für das Abendessen radle ich auf der Suche nach einem geeigneten Restaurant mit meinem Velo einige hundert Meter die stockdunkle Strasse hinunter. Damit du meine Gefühle bei dieser kurzen Fahrt verstehen kannst, musst du wissen, dass am Himmelszelt die Sterne wie Diamanten funkeln und am Lenker des Fahrrades ein kleines Warenkörbchen angebracht ist. So komme ich mir genau wie der Junge in „E.T.“ vor. Zum Glück kann ich nicht allzu schnell fahren. Sonst wäre ich sicherlich, wie im Film auch, in Richtung Mond abgehoben.

Zurück nach Yangon

Sonntag, 14. Dezember Als ich heute am Flughafen einchecke, erfahre ich, dass ich zuerst nach Mandalay und erst danach nach Yangon, wo ich eigentlich hin will, zurückfliegen werde. Der erste Flug hat gerade mal 20 Minuten gedauert. Ein Katzensprung gegenüber den sechs oder sieben Stunden Fahrt mit dem Taxi vor zwei Tagen! Später, in der Hauptstadt, habe ich mich wieder im „Motherland Inn“ einquartiert, wo ich gerade noch das letzte Zimmer ergattern konnte. Ich glaube, dass die Weihnachtsferien in Europa vor der Türe stehen, denn das kleine Hotel ist voll von Schweizern und Deutschen. Am Nachmittag flaniere ich ein bisschen in der Stadt, bevor ich in der Shwedagon Paya den Rest des Tages verbringe. Da am Sonntag auch viele Einheimische frei haben, ist dieses Prunkstück von einem Tempel mit Gläubigen überschwemmt. Es ist für mich höchst spannend, den verschiedenen Ritualen, welche durchgeführt werden, zuzuschauen. Mit U Yar Zein Da, einem dreiundzwanzigjährigen Mönch, verbringe ich den Sonnenuntergang bis in die dunkle Nacht vor der riesigen, golden glänzenden Stupa der Pagode. Er ist, wie viele Leute in Myanmar (und Asien), sehr interessiert an der Schweiz und möchte alles über unser Land wissen. Als ich im Hotel zurück bin, habe ich noch einen Deutschen kennen gelernt, der schon mehrere Male in Myanmar war. Er ist auch schon öfters in anderen Ländern Asiens gewesen. Und dies immer mit seiner Golfausrüstung! Er erklärt mir, dass es erstaunlich ist, welch andere Gesellschaft man auf den Golfplätzen vorfinden kann. Es sei sehr interessant auf diese Weise privilegierte und reiche Leute kennen zu lernen und eine völlig andere Welt, diejenige vom Geld im Überfluss, in asiatischen Ländern zu sehen.

Tagesausflug zum Felsentempel Kyaiktiyo

Montag, 15. Dezember Für die nächsten zwei Tage habe ich mir nochmals einen kleinen Luxus geleistet und habe ein Taxi gechartert. Der ältere Fahrer, der mich gestern vom Flughafen in die Stadt gebracht hat, chauffiert mich heute zum Felsentempel Kyaiktiyo, der über 200 Kilometer von Yangon entfernt ist. Die erste Strecke, zum Fusse des Berges, ist ziemlich einfach zu fahren. In einem schönen Hotel habe ich ein Zimmer reserviert und zu Mittag gegessen. Danach ist es bis zu einer Art Busstation gegangen, wo ich zusammen mit über hundert Einheimischen auf einen offenen Lastwagen mit Holzsitzbänken gepfercht werde. Zum Sitzen gibt es für mich keinen Platz mehr, doch kann ich direkt hinter der Führerkabine stehend die halbstündige Fahrt den Berg hinauf geniessen. Das ist noch ganz schön abenteuerlich. Vor allem, als ich ein paar Mal in den tiefen Schlund des Abgrundes schauen muss! Als ich auch diese Fahrt überlebt habe, brauche ich nur noch eine knappe Stunde einen sehr steilen Weg hochmarschieren, bis ich am Ziel ankomme. Da heisst es, wie immer, Schuhe weg und den mystischen Ort barfuss geniessen. Hier hängt ein riesiger Felsen scheinbar schwerelos über dem Abgrund und scheint in der Luft zu schweben. Die Legende besagt, dass dieser Stein nur dank einem Haar von Buddha, das sich im Innern des Steines befinden soll, die Balance halten kann. Auch bei diesem Ausflugsziel ist es wie immer.  Wo du mühsam hoch-steigst, musst du später auch wieder hinunter gehen. Eine Alternative zum „do it yourself“ wäre eine der vielen Sänften gewesen, die jeweils von vier Trägern den Berg rauf und runter getragen werden. Doch das ist eher etwas für die vielen reichen Asiaten, die in einem Luxushotel auf dem Gipfel des Berges logieren! Vom Busparkplatz geht die Fahrt, nachdem ich über eine halbe Stunde auf den harten Sitzbrettern des Pickups gewartet habe, endlich den Berg ganz hinunter. Ich muss leider das Wort „hinunter“ speziell erwähnen. Denn auf dem Weg gibt es drei kleine Gegensteigungen, wo unser Motor jedes Mal den Geist aufgibt. Dem Fahrer ist das Problem aber scheinbar bekannt. Denn er steigt jeweils aus, kippt die Führerkabine nach vorne, schraubt am Motor herum, pumpt Diesel nach und kann nach dieser Prozedur die Maschine wieder starten. Durch diese Probleme werden aus einer normalerweise zwanzig Minuten dauernden Fahrt ein stundenlanges Bangen und Hoffen, dass wir es heil bis nach unten schaffen. Dort fährt der Chauffeur direkt in eine Garage. Dies jedoch nur, um aufzutanken, da er mit dem letzten Tropfen Sprit unterwegs war! Die meisten Touristen ziehen es dann wie ich vor, die paar hundert Meter bis zum endgültigen Ziel zu Fuss zu gehen. Das sind eben die Tücken der öffentlichen Verkehrsmittel in Myanmar! In dieser Beziehung hat sich dieses Land während der letzten 20 Jahre um keinen Deut geändert!

Dienstag, 16. Dezember Die Fahrt zurück nach Yangon ist, wie meistens in diesen Ländern, der eigentliche Höhepunkt. Auch hier gilt: „Der Weg ist das Ziel“. Eine riesige Pagoda, ein liegender Buddha und vier 30 Meter hohe Statuen in der Stadt Bago bilden eher die „Beilagen“. Zu den herausragenden Höhepunkten zählen zum Beispiel meine Stopps bei den zwanzig Frauen, die als Strassenarbeiterinnen hart in der sengenden Sonne arbeiten müssen. Oder die Frauen und Kinder, die in mühsamer Handarbeit Bambusrohre zersägen und spalten, um damit Möbel herzustellen. Oder die Arbeiterinnen in einer Kiesgrube. Oder die Mädchen, die bei einer Tankstelle Geld für gemeinnützige Projekte sammeln. Oder die Familien, die auf den Feldern arbeiten. Oder die Fischer, die ich in einem Fluss beobachten kann. Das sind wirklich die Dinge, die das Salz in der Suppe ausmachen! Als wir in Yangon angekommen sind, will ich noch „meinen“ Mönch, den ich vorgestern kennen gelernt habe, in seinem Kloster besuchen, doch dieser ist leider unauffindbar. Schade!

Leider bin ich des Entdeckens doch langsam müde. Ich habe es in der letzten Zeit schon so vielen Leuten gesagt. Zum Beispiel auch Walter und Bea, einem Paar, das schon vor dreissig Jahren das erste Mal hier in Myanmar war. Auch ihnen erzähle ich von meinem Sabbatical-Abenteuer. Wenn ich dann einmal von meinen Erlebnissen zu berichten beginne, wird mir extrem bewusst, wie viel ich in allen Ländern gereist und dabei entdeckt habe. So verwundert es mich nicht, dass ich mich allmählich „satt gesehen“ habe. Ich freue mich, schon bald zu Hause meine Filme zu sichten, und so meine Reise noch viele Male in Gedanken durchleben zu können.

Hier geht es direkt zum letzten Mal auf dieser Reise nach Thailand und dort zum relaxen nach Ko Samet

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Die Sabbatical-Reise

Es war immer ein Wunsch von mir, ein Sabbatical zu machen. Natürlich war das Sabbatical dann eine lange Reise! Da es nicht geklappt hat, dass wir als Familie die ganze Zeit zusammen reisen konnten, haben wir die Sommerferien der Kinder dazu genutzt, eine Familienreise zu machen. Ich bin danach 5 weitere Monate alleine durch Ozeanien und Asien weitergereist!

 

Weitere Etappen der Sabbatical-Reise: